Exkursion 05. Sep 2025

Lehrstück Polen

Die Exkursionsgruppe an der Universität Poznań.

Exkursionsbericht «Jüdische Geschichte zwischen Deutschland und Polen: Eine Spurensuche».

Die diesjährige Exkursion des Zentrums für Jüdische Studien führte uns gemeinsam mit der Osteuropäischen Geschichte in den Westen Polens, auf die Spuren deutsch-jüdisch-polnischer Vergangenheit. Ob im Rahmen von Forschung an den städtischen Universitäten, staatlich geförderten Organisationen oder bei Einzelinitiativen wurde uns Einblick in aktuelle Projekte vor Ort gegeben. Forschende der Universität Poznań besuchten uns ausserdem in Basel, öffneten uns in Posen ihre Türen und luden uns ein, mit ihnen über ihre Projekte zu diskutieren.

Städtische Einblicke
Auf unserer Reise nach Posen (poln. Poznań) und Breslau (poln. Wrocław) durften wir darüber hinaus Aktivisten, Künstler, Zeitzeugen und Stadtführerinnen treffen. Sie alle teilten ihre Perspektiven und Zugänge zur Erinnerung an eine eng verwobene Vergangenheit zwischen deutschen, jüdischen und polnischen Identitäten in ihrem regionalen Kontext mit uns. Nach 1945 kam es innerhalb von Polen zu grossen Migrationsströmen. Ehemals deutsche Gebiete wurden polnisch. In der Konsequenz wurde die deutsche Bevölkerung vertrieben und die polnische wurde von den in die Sowjetunion einverleibten polnischen Gebieten im Osten nach Westen umgesiedelt.

Wissenschaftliche Arbeit wie auch ausseruniversitäres Engagement sind Teil einer aktiven Erinnerungskultur. So barg der Memory Activist und Gründer des Vereins Lazęga Poznańska (etwa «Posener Flaneur») Maciej Krajewski in Posen unter anderem Matzevot (jüdische Grabsteine) aus den Untiefen eines Sees und brachte sie auf das ehemalige Gebiet des städtischen jüdischen Friedhofs, welches heute komplett überbaut ist.

Auch die originalen Spuren des ehemaligen jüdischen Zentralfriedhofs in Breslau sind heute unsichtbar. Der Breslauer Architekt Wojtek Chrzanowski von der Urban Memory Foundation setzt sich gemeinsam mit einem fünfköpfigen Team für die Sichtbarmachung dieses verschwundenen und mittlerweile überbauten Friedhofs ein. Mit Kunst und Guerilla-Aktivismus soll die Erinnerung mit den heute dort lebenden Menschen gemeinsam erarbeitet werden. Im Fokus steht die Einbindung der durch grossen demographischen Wandel geprägten Bevölkerung, für die der Ort ein Ort des Erinnerns werden soll. Eine Zusammenarbeit sei für gegenseitiges Verständnis, so Chrzanowski, unabdingbar.

Demographischer Wandel
Wenn eine Mehrheit der heutigen Bevölkerung durch den demographischen Wandel in Posen wie auch in Breslau keine tiefe familiäre Verwurzelung in ihrem Wohnort hat, wird die historische Relevanz dieser Städte in der Konsequenz für das heutige Polen unwichtig? Wer erinnert sich an welche Geschichten und warum? Wann wird Erinnerung zu einer Kultur?

Auf unserer Reise haben wir unterschiedliche Ansätze kennengelernt. Sie haben uns die Relevanz eines Prozesses vor Augen geführt, in dem von Vertreibung geprägte Menschen proaktiv mit der Geschichte ihres Wohnortes in Verbindung gebracht werden. Dadurch kann eine Identifikation mit diesen Orten geschaffen werden, die auch ein Interesse weckt, lokale Geschichte aufzuarbeiten und weiterzugeben.

Durch aktive Einbindung und gegenseitige Anteilnahme kann die Erinnerung an einen Ort bedeutsam werden. Die Menschen, die wir auf unserer Reise getroffen haben, zeigten uns, wie durch ihre Art der Vermittlung und Community-Arbeit Wohnorte zu Heimat werden können, indem die lokale Geschichte an Bedeutung gewinnt. Durch die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen kann die Reichweite von Erinnerungskultur weiter wachsen; solche Unterstützung fehlt jedoch noch an einigen Stellen.

Es sind diese Projekte, die kontinuierlich gegen eine gesellschaftliche Spaltung anhalten, welche uns durch das polnische Wahlergebnis während unseres Aufenthaltes wieder schmerzlich vor Augen geführt wurde. Projekte wie diese geben uns Hoffnung für eine gemeinsame und verantwortungsvolle Zukunft, die sich einer Abschottung verwehrt und den Zusammenhalt fördert.

Dodo Dürrenbeger und Lea Levi sind Studierende am ZJS.

Dodo Dürrenberger, Lea Levi