jüdische LITERATUR 05. Sep 2025

Jüdische Literatur als Widerstand

Forschende aus sieben Ländern tauschten sich an der Basler Konferenz drei Tage lang aus.

Gedanken zu Hoffnung, Revolte und dem Platz der Jüdischen Literaturen im Universitätsbetrieb.

Im November 1984 verortete der deutschsprachig-jüdische österreichische Schriftsteller Robert Schindel Widerstand in seinem Vortrag «Judentum als Erinnerung und Widerstand» im explizit nicht-religiösen und nicht-zionistischen Kontext. Ohne Religion und Zionismus fallen im Europa der 1980er Jahre alle identitätsgebenden Aspekte für Jüdinnen und Juden weg – ausser einem: der Schoah. In Schindels Worten, «uns alle verbindet das Sterben.» Judentum als Widerstand sei daher ein «bewusster, produktiver Akt.» Dieser Akt könne bereits durch das ausdrückliche Weiterleben – als nicht-religiöser und nicht-zionistischer Jude in Europa – vollzogen werden. Heimat zu produzieren wird in diesem Kontext ebenfalls zur widerständigen Handlung, so Schindel.

Neue Kooperation
Vom 10. bis zum 12. Februar 2025 trafen sich Forscherinnen und Forscher aus der Schweiz, Deutschland, Frankreich, Israel, Österreich, Polen und den USA, um über «Widerstand. Jüdische Literatur als Mittel gesellschaftlicher und politischer Teilhabe» zu diskutieren. Die Tagung der Gesellschaft für europäisch-jüdische Literaturstudien wurde vom ZJS (Alfred Bodenheimer) in Kooperation mit dem Buber-Rosenzweig-Institut an der Goethe-Universität (Judith Müller) ausgerichtet und fand an der Universität Basel statt. Bereits der literaturwissenschaftliche Fokus kann hier als Akt des Widerstands innerhalb der Disziplin Jüdische Studien gewertet werden, denn an vielen Orten dominiert die jüdische (Geistes-)Geschichte. So ist Basel der einzige Ort in der Schweiz mit einem Standbein Literatur in der Fächervielfalt der Jüdischen Studien.

Dabei wurde in den Diskussionen an der Tagung festgestellt, dass sich Texte ihrerseits einer strikten Zuordnung widerständig entziehen. Ihre Lektüre verlangt einen interdisziplinären Zugang. Widerständige jüdische Texte werden in unterschiedlichsten Genres verfasst und ihre Lesarten des Begriffs Widerstand sind divers. Sie sind in zahlreichen Sprachen geschrieben und leisten auch sprachlich, z. B. durch Missachten von Rechtschreibung, Widerstand. Auch die Formen des Widerstands, die jüdische Literaturen, einzelne Texte und Autorinnen und Autoren leisten, sind vielfältig: von öffentlichem Widerstand hin zu subtilen, intimen Ausdrucksweisen in Briefen, Gebeten und Tagebüchern.

Wissenschaftliche Debatten
Die Kontexte, in denen Widerstand geleistet wird, sind ebenso plural. Sie reichen vom Überleben als solchem über das Leisten von Widerrede in Situationen der Repression hin zu einer Lektüre oder einem Schreiben gegen den gängigen Strom des Literaturbetriebs. Ähnlich erschien auch der Diskurs in den Jüdischen Studien als ein Reibungsmoment in wissenschaftlichen Debatten insbesondere auch der Gegenwart. Ebenso kann die Verortung des eigenen Selbst in literarischen Texten widerständig geschehen, etwa gegen Zuschreibungen. In diesem Zusammenhang ist das Schreiben gegen die «Assimilation» zu nennen: in Form innerjüdischer Kritik oder in jiddischer und hebräischer Sprache und damit bewusst an ein jüdisches Publikum gerichtet. Nicht zuletzt erscheint Hoffnung als eine Form des Widerstands. In ihrem Briefwechsel «Gleichzeit» schreiben Sasha Marianna Salzmann und Ofer Waldman einander ihre Gedanken nach dem 7. Oktober. Sie erzählen von ausgefallenen Literaturtagen, der neuen jüdischen Identität, die unter der israelischen hervorplatzt, von Gedanken an Pässe und Koffer, vom erstarkenden Antisemitismus in Europa, von Sorgen um die Geiseln und vom Krieg. Salzmann schreibt am 1. Januar 2024: «Ich dachte auch an all die Freund:innen in anderen Regionen der Welt […], die mir stets versicherten, Pessimismus könnten sie sich nicht leisten. Sie haben keine Zeit für Mutlosigkeit. Für sie war und ist Hoffnung in der Tat – auch Widerstand gegen die Verhältnisse, Revolte.»

Judith Müller ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Buber-Rosenzweig-Institut und ehemalige Doktorandin und Assistentin am ZJS. Konferenzprogramm:https://association-ejls.eu/konferenzen/
Konferenzbericht: https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-154232

Judith Müller