Die historische Sammlung der Israelitischen Gemeinde Basel wurde neu erschlossen, digitalisiert und als Depositum der Universitätsbibliothek Basel übergeben.
Die Wurzeln der Gemeindebibliothek der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) reichen über 120 Jahre zurück zur Bibliothek der Zionistischen Vereinigung, die am 17. November 1901 in Basel eröffnet wurde. 1943 wurden diese und weitere jüdische Bibliotheken zur Gemeindebibliothek zusammengeführt. Seither wurde der Bestand laufend durch Ankäufe und Schenkungen erweitert. Es handelt sich also um eine der wenigen deutschsprachigen Gemeindebibliotheken, die das letzte Jahrhundert unbeschadet überstanden haben.
In den letzten fünf Jahren hat die Bibliothekskommission der IGB eine Reorganisation der Gemeindebibliothek durchgeführt, nachdem eine temporäre Schliessung und die klimatischen Bedingungen in den Räumen eine neue Lösung erforderten. In zwei Projekten wurde die Bibliothek mit den modernen Beständen wieder geöffnet und der Altbestand in Form eines Depositums an die Universitätsbibliothek Basel gebracht. Dieses zweite Projekt beinhaltet nicht nur eine konservatorisch ausgezeichnete Aufbewahrung der Kostbarkeiten, sondern auch ihre Erschliessung, Katalogisierung und Digitalisierung nach den höchsten wissenschaftlichen Standards.
Beschreibung der Provenienz
Die Sammlung umfasst über 8300 Monographien und circa 2000 Zeitschriften. Selbstverständlich erfolgt die Katalogisierung der hebräischen und jiddischen Werke mit Vernacular, das heisst, diese werden sowohl in Originalschrift als auch transliteriert erfasst. Die meisten unter den Drucken können aufgrund ihres Alters und weiterer Hinweise als Unikate bezeichnet werden, entsprechend erfolgt ihre Katalogisierung nach Autopsie, indem das vorliegende Exemplar auf besondere Merkmale hin überprüft und Druckvarianten abgeglichen werden. Diese Beschreibung sowie Provenienzvermerke, in Form von handschriftlichen Einträgen, Stempeln oder Ex Libris, finden Eingang in den Katalog. Das macht die wissenschaftliche Erforschung des Bestandes und seiner Geschichte erst möglich.
Gefunden werden kann die Sammlung nebst dem schweizweiten Online-Bibliothekskatalog Swisscovery am besten in Swisscollections, dem Spezialkatalog für historische Sammlungen in Schweizer Bibliotheken. Die digitalisierten Werke können auf der Plattform e-rara konsultiert werden, wo sie in einer eigenen Kollektion präsentiert werden.
Nach der wissenschaftlichen Katalogisierung, die dieses Jahr abgeschlossen wird, kann nun die Erforschung des Altbestandes, seiner Geschichte und einzelner Werke erfolgen. Über besondere Trouvaillen kann schon berichtet werden: Das bisher älteste Werk, der kabbalistische Kommentar zur Thora von Menachem ben Benjamin Recanati (1250–1310), gedruckt 1523 beim berühmten venezianischen Drucker Daniel Bomberg, kommt verhältnismässig unscheinbar daher. Aber das kleinformatige, in Papier eingebundene Buch hat es in sich. Dem wertvollen Erstdruck fehlen die ersten Seiten. Sie wurden aber durch handschriftliche Abschriften ersetzt. Damit ist das Mischwerk aus Druck und Handschrift ein wahres Unikat.
Eine handschriftliche Ergänzung des Titelblattes hat auch ein Druck mit Responsenliteratur von Menachem Azarja da Fano (1548–1620), gedruckt in Venedig bei Daniele Zanetti. Hier mit der Besonderheit, dass das Titelblatt aufwändig und dekorativ von Hand gestaltet wurde. Spannend ist die Datierung des Werks: Auf dem handschriftlichen Titelblatt ist das Jahr 1762/1763 vermerkt. Aus einem Zensurvermerk im gedruckten Teil des Werks wird aber klar, dass es sich um einen Druck von 1599/1600 handeln muss und das Titelblatt später ergänzt wurde.
Neben einzelnen Werken kann nun auch die Geschichte der Bibliothek und ihrer Sammlung beschrieben werden. Hier sticht eine Schenkung der Familie Gumpertz-May hervor. Hermann (1851–1938) und Therese (1856–1943) Gumpertz-May stammten aus Hamburg. Hermann galt als eine der Schlüsselpersönlichkeiten der norddeutschen Orthodoxie. Er hatte bereits 1868 von Deutschland aus das Schweizer Staatsbürgerrecht erlangt. Der älteste Sohn, Simon Gumpertz (1884–1974), kam 1933 mit seiner Frau Karla Pessel (1888–1970) nach Basel.
Teil der Bibliothek
Die beiden hatten drei Kinder und waren aktive Mitglieder der IGB. Simon Gumpertz übergab, zum Andenken an seine Eltern, einen grossen Teil der Bibliothek seines Vaters der Gemeindebibliothek. Diese Sammlung umfasst viele Raritäten, darunter auch ein Konvolut mit dem Talmudtraktat Sanhedrin, gedruckt 1760/1761 in Sulzbach. Darin finden sich neben handschriftlichen Vermerken und Schreibübungen auf den Innenseiten der Buchdeckel auch Zeichnungen mit Sujets, die auf Purim hindeuten. Zu sehen sind Esther und Mordechai sowie eine Hamantasch.
Allein diese wenigen ausgewählten Beispiele zeigen, dass die Bibliothek der IGB eine Fundgrube jüdischer Kultur vergangener Jahrhunderte ist, ein Ort, an dem wertvolle und originelle Zeugnisse des im 20. Jahrhundert so weitreichend vernichteten europäisch-jüdischen Lebens aufbewahrt sind und der weiteren Erforschung harren.
Catrina Langenegger ist Fachreferentin für Jüdische Literatur- und Kulturgeschichte an der Universitätsbibliothek Basel, Mitglied der Bibliothekskommission der IGB und ehemalige Doktorandin am ZJS.