Sidra Toledot 21. Nov 2025

Die Bedeutung von Itzchak

Nach seinem Übertritt zum Judentum wollte ein Schweizer namens Urs seinen Vornamen offiziell in Uri ändern. Dies wurde ihm allerdings von den entsprechenden Behörden verweigert. Die Geschichte ereignete sich vor bald 30 Jahren und ich weiss nicht, ob sie ein Happy End erfahren hat, ob heute bei Vorliegen wichtiger Gründe eine rechtsgültige Änderung des Vornamens möglich wäre und wie viele Formulare dafür ausgefüllt werden müssten. Zu biblischen Zeiten war das alles ein bisschen einfacher. Aus Awram wurde Awraham, aus Sarai später Sara und Jakow wurde gegen Ende seines Lebens Jisrael genannt. Von den Urvätern blieb nur gerade Itzchak seinem Namen treu. Wir erinnern uns, dass Gott selbst es war, der diesen Namen aussuchte, und dass er vermeintlich damit zu tun hat, dass sowohl Awraham wie auch Sara ungläubig lachten, als ihnen im hohen Alter die Geburt eines Sohnes prophezeit wurde. War dieser Name Programm? Auf den ersten Blick scheint es, als seien die Geschehnisse, die in der Thora über Itzchak geschrieben sind, durchaus nicht zum Lachen, wobei eingestanden sei, dass wir über seine Lebensgeschichte überhaupt wenig erfahren. Das meiste über Itzchak als Erwachsener steht noch in unserem Wochenabschnitt. Irgendwie kommt Itzchak immer ein wenig zu kurz. Er hat insgesamt nur zwei Offenbarungen, im Gegensatz zu seinem Vater, mit dem Gott acht Mal gesprochen hat, und anders als bei seinem Sohn Jakow mit fünf Offenbarungen. Zwar verspricht Gott Itzchak ebenfalls Nachkommen so zahlreich wie die Sterne am Himmel, allerdings nicht aufgrund eigener Verdienste, sondern weil Vater Awraham auf Gottes Stimme gehört hat. Selbst bei den Vorhersehungen der Propheten ging Itzchak dann und wann unter. Micha (7:20) redet von Gott, der Jakow seine Treue und Awraham seine Liebe beweisen wird. Und Itzchak? Der scheint vergessen, genauso wie in der Verkündung von Jeschajahu (63:16): «Du bist doch unser Vater, denn Awraham will von uns nichts mehr wissen und Jisrael uns nicht mehr kennen. Du bist der Ewige, unser Vater.» Besonders dieser letzte Vers schmerzt. Traditionellerweise steht Awraham für Liebe, Itzchak für Gottesdienst und Jakow für Gelehrsamkeit. Was ist passiert, dass sowohl Awraham wie Jakow das Volk verleugnen? Und warum eilt Itzchak nicht zu Hilfe? Der Talmud interpretiert diesen Vers so (Schabbat 89b): Einst wird sich Gott bei Awraham und Jakow beklagen, dass ihre Kinder gesündigt hätten. Beide werden antworten, dass sie dafür bestraft werden müssten. Schliesslich wird sich Gott an Itzchak wenden. Dieser wird entgegnen: «Meine Kinder haben gesündigt? Sind sie nicht auch deine Kinder? Und wie viele Sünden gelingen dem Menschen schon in seinen 70 Lebensjahren? Die ersten 20 sind abzuziehen, weil er dafür nicht vom Himmel bestraft wird. Von den verbleibenden 50 Jahren verschläft er die Hälfte. Bleiben noch 25 Jahre, von denen er wiederum die Hälfte mit Beten und Essen verbringt. Der Mensch kann also allenfalls die restlichen 12 Jahre sündigen. Es wäre schön, wenn du, Gott, die Schuld dieser Jahre auf dich nehmen würdest. Falls nicht, so lass sie uns teilen.» Als das jüdische Volk hörte, wie sich Itzchak für es einsetzte, lobte es ihn sogleich mit den Worten: «Du, Itzchak, bist doch unser Vater, denn Awraham will von uns nichts mehr wissen und Jisrael uns nicht mehr kennen.»

Wo die Liebe Awrahams und die Gelehrsamkeit Itzchaks an ihre Grenzen stossen, öffnet Itzchak durch sein Gebet die Türen zum Himmel. Itzchak mag in der Thora weniger oft vorkommen als die anderen Urväter, doch steht er für eine Verbindung zwischen Himmel und Erde, wie sie ausser ihm niemand erreichte. Der Sohar (zu Tossefta zu Parschat Noach) weist darauf hin, dass die Namen vieler wichtiger Gestalten der Thora, darunter die Urväter, an irgendeiner Stelle in der Thora doppelt genannt werden.

«Awraham, Awraham» ruft der Engel, um ihn davon abzuhalten, seinen Sohn zu opfern. «Mosche, Mosche» ruft Gott aus dem Dornbusch. Nur Itzchaks Name steht nie doppelt. Für den Sohar ist dies ein Ausdruck dafür, dass Itzchak allein gleichzeitig im Diesseits wie im Jenseits lebte. Jeder Mensch hat zwei Namen. Einer symbolisiert seine himmlischen Träume und Visionen, seine Vorstellung, wie er selbst sein könnte. Der andere Name steht für die irdische Realität. Bei Itzchak aber sind beide Namen verschmolzen. Er vermag die Dinge in dieser Welt mit den Augen der Ewigkeit zu sehen. Diese Begabung wird durch seinen Namen ausgedrückt. Er ist der einzige, der seinen Namen nicht von den Eltern, sondern von Gott bekommt. Als Gott Awraham verkündet, er würde bald einen Sohn bekommen, musste dieser lächeln, waren er und seine Frau Sara doch bereits Greise. Da ergänzt Gott, sein Sohn solle Itzchak heissen. Der Name verweist auf das, was auch noch möglich ist in dieser Welt, obschon wir es uns nur in den kühnsten Träumen vorstellen können. Itzchak verkörpert etwas, das eigentlich nicht normal und nicht logisch ist. «Itzchak» ist nicht nur Programm, sondern Essenz. Es beinhaltet die Gewissheit, dass manchmal Dinge passieren, die schier unglaublich sind, und dass manchmal Himmel und Erde einander näher sind, als wir es je für möglich hielten.

Michael Goldberger schrieb von 2001 bis 2012 Sidrabetrachtungen für tachles. Erschienen sind diese im Buch «Schwarzes Feuer auf weissem Feuer: Ein Blick zwischen die Zeilen der biblischen Wochenabschnitte», woraus dieser Text stammt.

Rabbiner Michael Goldberger