Der Physiker Yaniv Donath, welcher bis vor Kurzem noch an der Universität Cambridge forschte, ist heute Teil des Brüderpaars aus Zürich, das mit ihrem Start-up die verborgenste Zone des Fussballs ins Licht rückt: die Jugendakademien.
Game1 heisst die Firma der beiden Brüder Yaniv und Amir Donath aus Zürich. Ihr Ansatz von standardisierten Tests, kombiniert mit Machine Learning, soll das Potenzial junger Spieler sichtbar machen. «Clubs haben für ihre ersten Mannschaften längst detaillierte Daten», erklärt Yaniv. «Aber die Jugendakademien sind eine Blackbox.» Mit Algorithmen, die er selbst programmiert hat, gelingt es, aus Leistungsdaten und biologischen Faktoren Prognosen zu berechnen, die in Tests bis zu 95 Prozent der späteren Profis korrekt erkannt haben.
Vom PhD zur Start-up-Idee
Dass ausgerechnet ein Physiker auf diese Idee kommt, wirkt nur auf den ersten Blick überraschend. Donath hat an der Universität Cambridge in Kosmologie promoviert und dort grosse Datenmengen mit Machine Learning ausgewertet. «Im Kern geht es um das Gleiche», sagt er. «Informationen nehmen und auf etwas Aussagekräftiges herunterbrechen. Damals ging es um Daten von Milliarden von Galaxien, heute sind es Fussballspieler.» Im Gespräch mit tachles beschreibt er, wie sich der Weg öffnete: «Ich wusste lange nicht, dass im Fussball überhaupt mit Daten und Machine Learning gearbeitet wird. Aber in Cambridge gab es einen Professor, der mit Google Deepmind und Liverpool ein Projekt gemacht hat. Da habe ich gemerkt, dass es geht und dass es spannend ist.»
Während seiner Promotion veröffentlichte Donath mehrere Arbeiten, die inzwischen vielfach zitiert wurden, was zeigt, dass seine Forschung breite Resonanz fand. Heute baut er darauf auf und arbeitet im Start-up mit neuronalen Netzen, Rechenmodellen nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns, die Muster in grossen Datenmengen erkennen.
Gemeinsam mit seinem Bruder, der nach einem MBA in Stanford die Kontakte zu Clubs und Investoren pflegt, führt er das Unternehmen. Yaniv verantwortet dabei die technische Seite. «Die Idee, die Umsetzung, das Feedback waren Teamarbeit. Aber gecodet habe ich», sagt er. Diese Mischung aus theoretischem Wissen und praktischem Handwerk ist es, die ihn prägt. «In meinem PhD habe ich unendlich viel über Machine Learning gelernt, einfach, weil es das effizienteste Werkzeug war, um mit den riesigen Datenmengen umzugehen. Diese Erfahrung fliesst direkt ins Start-up ein. Für mich sind das keine zwei getrennten Welten, sondern eine Expertise, die ich auf ein neues Feld anwende.»
Bemerkenswert ist, dass Donath mit diesem Hintergrund nicht allein dasteht: Viele der führenden Datenwissenschaftler im internationalen Fussball sind Physiker. Der bekannteste, Ian Graham, war bis vor Kurzem Chefanalyst beim FC Liverpool. Auch er promovierte in Cambridge. «Wenn wir mit Analysten grosser Clubs sprechen, ist es erstaunlich oft ein Gespräch unter Physik-PhDs», erzählt Donath.
Performance vs. Potenzial
Nicht nur sein akademischer Hintergrund spielte bei der Entwicklung eine Rolle. Donath hat selbst als Jugendlicher Fussball gespielt, sein Bruder Amir sogar zeitweise gecoacht. Beide wissen aus erster Hand, wie stark Selektionsentscheide oft vom momentanen Eindruck geprägt sind. Und genau darin liegt für sie das Kernproblem: In den Akademien wird zu oft nach aktueller Leistung geurteilt, nicht nach dem tatsächlichen Potenzial. Hier setzt Game1 an.
Während Profimannschaften längst auf Firmen zurückgreifen, die manuell oder automatisiert Spielvideos auswerten und Statistiken zu Pässen, Ballbesitz oder Aktionen liefern, bleibt der Nachwuchs grösstenteils unerfasst. «Für die Jugend gibt es fast keine Daten», sagt Donath. «Dabei sind viele Clubs finanziell auf ihre Akademien angewiesen.» Statt auf das Bauchgefühl einzelner Trainer zu vertrauen, will er die Entwicklung messbar machen: mit standardisierten Leistungstests – ähnlich dem «NFL Combine» im American Football – kombiniert mit biologischen Faktoren und Machine Learning.
Um eine solide Grundlage zu schaffen, stützt sich Game1 heute auf umfangreiche Datensätze aus über zehn Jahren, die den Kern des Modells bilden. Der Rücktest brachte ein überraschendes Ergebnis: Hätte man die Prognosen auf vergangene Jahrgänge angewandt, hätte der Algorithmus rund 95 Prozent der späteren Profis erkannt, und das, obwohl er nur bei etwa 15 Prozent aller Spieler ein klares «Ja» vergibt. Eine Anekdote hat Donath dabei besonders bewegt: «Da war ein Innenverteidiger, gross, ruhig, unauffällig und dazu mit familiären Problemen. Er wurde mit 16 Jahren in seiner Akademie aussortiert, wechselte den Club und startete durch. Heute spielt er in der Bundesliga und ist Millionen wert. Unser Algorithmus hätte ihn als Top-Talent markiert.» Für Donath sind das die Momente, in denen sich die Relevanz seiner Arbeit zeigt: «Wir helfen Clubs, solche Fehler zu vermeiden und niemanden zu übersehen. Sie sollen sicher sein, dass ihre Entscheidungen auf soliden Daten basieren.»
Globale Ambitionen
Donath ist wichtig, dass die Technologie nicht Theorie bleibt, sondern in der Praxis wirkt. «Wir wollen, dass in jedem Club der Welt Tests durchgeführt werden können, auch dort, wo es bisher keinerlei Daten gibt», erklärt er. Möglich wird das, weil Game1 bewusst niedrigschwellig angelegt ist: Ein Smartphone genügt. Selbst ohne Internetverbindung lassen sich die Tests erfassen. «In Kenia haben wir eine Akademie, die unsere App ausprobierte. Dort gibt es auf dem Feld keine Verbindung. Also haben wir sie so gebaut, dass sie auch offline funktioniert.»
Das Geschäftsmodell sieht vor, dass Vereine für die Nutzung zahlen. Für grosse europäische Clubs ist es wertvoll, potenzielle Spitzenspieler frühzeitig zu erkennen. Gleichzeitig profitieren auch die Spieler selbst: In den USA etwa wollen viele Highschool-Fussballer, dass ihre Leistungsdaten an Colleges weitergeleitet werden, um Stipendien zu erhalten. «Ein Scout kommt, sieht dich vielleicht an einem guten oder schlechten Tag, und davon hängt ab, ob du ein Angebot bekommst. Wir machen das fairer und objektiver», sagt Donath.
Schon jetzt arbeitet Game1 mit US-Soccer, der amerikanischen Fussball-Föderation, und mehreren Schweizer Super-League-Clubs zusammen. Über 20 weitere internationale Teams stehen auf der Warteliste. Rund die Hälfte der angestrebten Finanzierung ist gesichert, die Gespräche mit Investoren laufen.
Langfristig soll das Modell nicht beim Fussball stehen bleiben. «Fussball ist unser Sport und mit Abstand der grösste der Welt, grösser als American Football, Basketball und Cricket zusammen», erklärt Donath. «Aber wir wurden schon gefragt, ob wir die Methode auch auf Basketball oder Football anwenden können. Ein ehemaliger NFL-Manager hat uns sogar seine gesamten Combine-Daten angeboten.»
Ein Brüderpaar als Gründerteam
Dass ausgerechnet zwei Brüder aus Zürich dieses Projekt vorantreiben, ist ein besonderer Teil der Geschichte. Amir verantwortet als CEO die Strategie und Partnerschaften, Yaniv als CTO die technische Entwicklung. «Wir sind beide keine Fans von Titeln», sagt Yaniv, «wir sehen uns einfach als Team, das gemeinsam dieses Unternehmen aufbaut.»
Gerade darin, Brüder zu sein, sehen sie ihre besondere Stärke. Sie sind es gewohnt, offen miteinander zu sprechen, und vertrauen einander vorbehaltlos. «Wir haben schon über das letzte Schnitzel gestritten», erzählt Donath lachend. Heute nutzen sie diese Vertrautheit als Vorteil: Es gibt keine Filter, keine versteckten Agenden, dafür ein stabiles Vertrauen, das ihnen erlaubt, Entscheidungen schnell zu treffen und Risiken gemeinsam zu tragen. Für die Brüder ist klar: Ihre enge Verbindung ist der entscheidende Vorteil, den Game1 hat.