ESSAY 12. Dez 2025

Eine Reflexion über die Zeit

Das Entzünden der Chanukkakerzen durch die Jahrhunderte erhält aufgrund ihrer Zeitlosigkeit eine Bedeutung in unserer Zeit.

An Chanukka feiere man nicht einen Moment in der Zeit, sondern den Trotz gegen die Zeit – ein Essay über die Bedeutung von Chanukka im aktuellen Kontext.

Am Abend des kommenden 31. Dezember, während viele Menschen das neue Jahr einläuten, werden Juden auf der ganzen Welt einem der einzigartigen Rituale ihres Glaubens nachgehen: dem Anzünden von Kerzen am siebten der acht Abende von Chanukka. Das Anzünden erinnert an die Menora, den Leuchter des Tempels in Jerusalem, und dessen Reinigung durch die Makkabäer, nachdem er von den Seleukiden entweiht worden war. Laut dem Talmud war nur noch ein rituell reiner Krug Öl übrig, der für einen Tag reichen würde; aber die Flammen, die durch diesen heiligen Krug genährt wurden, brannten schliesslich acht Tage lang hell.

Im Vergleich zu den Wundern, die in der Heiligen Schrift beschrieben werden, mag dies wie ein kleines Wunder erscheinen; und es gibt so viele Wunder, denen kein Feiertagsritual gewidmet ist, um sie nachzustellen. Aber was tatsächlich in Erinnerung bleibt, ist ein Ereignis von starker Symbolkraft: ein kleines Stückchen Glaubensbrennstoff, das länger als erwartet reichte. Es ist ein Wunder der jüdischen Geschichte selbst. Als das Seleukidenreich den Tempel in Jerusalem heidnisch machte, ahnten seine Herrscher nicht, dass ihre eigene Form des Heidentums – die Verehrung von Zeus und Athene – eines Tages verschwinden und der Gott Abrahams in der ganzen Welt bekannt werden würde. Zwei Jahrhunderte später – als die Römer Jerusalem plünderten, den Leuchter des Tempels triumphierend in das Forum, das Zentrum ihres Reiches, trugen und ein Bild dieses Moments auf dem Titusbogen verewigten – ahnte niemand, dass ein jüdischer Staat mit Jerusalem als Hauptstadt wiedergeboren werden würde, während das Forum nur noch eine Touristenattraktion sein würde.

Gegen die Zeit
Für diejenigen, die sich heute um die Zukunft des biblischen Glaubens sorgen, sind die Chanukkakerzen eine eindringliche Erinnerung: Kulturen und Gemeinschaften, die das Beständige feiern, bestehen auch wirklich fort. Daher muss ein wahrhaft jüdischer Beitrag zu einem Symposium über das neue Jahr die Leser dazu auffordern, darüber nachzudenken, wie sie ihre Zeit nutzen und wie sie mit der Zeit selbst umgehen. In der heutigen Kultur feiern Millionen Menschen einen bestimmten Moment und zählen die Sekunden bis dahin, wobei sie überschwänglich «Frohes neues Jahr» rufen. Wenn man über die Chanukkakerzen nachdenkt, wird einem klar, dass sie etwas ganz anderes feiern: nicht einen Moment in der Zeit, sondern die Missachtung der regulären Zeit, das Beständige in der flüchtigen Zeit. In diesem Sinne werden wir, während die Flammen brennen, aufgefordert, darüber nachzudenken, was länger als einen Moment Bestand hat, welche Aspekte des Lebens wirklich beständig sind. Und genau diese Frage sollten Gläubige mit ins Jahr 2025 nehmen.

Eine meiner Lieblingsgeschichten zu Chanukka erzählt der grosse jüdische Dissident Natan Sharansky in seinen Memoiren «Fear No Evil» («Fürchte das Böse nicht»), in denen er seine neun Jahre in einem sowjetischen Gefängnis beschreibt. Um das Fest zu feiern, bastelte Sharansky eine provisorische Menora, die jedoch bald beschlagnahmt wurde. Daraufhin trat er in den Hungerstreik, und der Gefängnisdirektor, der um ein PR-Desaster fürchtete, suchte nach einem Kompromiss. Sharansky sagte dem sowjetischen Offizier, dass er, da es die letzte Nacht von Chanukka sei, seinen Hungerstreik beenden würde, wenn er die Menora noch einmal anzünden dürfe – im Büro des Kommandanten. Der Offizier willigte ein, und an dieser Stelle erfand Sharansky kurzerhand ein neues jüdisches Gesetz. Er teilte dem Offizier schelmisch mit, dass alle Anwesenden, damit das Ritual wirksam sei, strammstehen, aufmerksam dem gesprochenen Segen lauschen und mit «Amen» antworten müssten.

Die Beständigkeit des Glaubens
Sharansky beschreibt die Szene mit dem Offizier so: «Ich zündete die Kerzen an und sprach mein eigenes Gebet auf Hebräisch, das in etwa so lautete: ‹Gesegnet seist du, Adonai, dass du mir erlaubst, mich an diesem Tag von Chanukka zu freuen, dem Fest unserer Befreiung, dem Fest unserer Rückkehr auf den Weg unserer Väter. Gesegnet seist du, Adonai, dass du mir erlaubst, diese Kerzen anzuzünden. Mögest du mir erlauben, die Chanukkakerzen viele Male in deiner Stadt Jerusalem anzuzünden, zusammen mit meiner Frau Avital, meiner Familie und meinen Freunden.›» Er fuhr mit seinem Gebet fort und fügte dann auf Hebräisch hinzu: «Und möge der Tag kommen, an dem alle unsere Feinde, die heute unsere Vernichtung planen, vor uns stehen und unsere Gebete hören und ‹Amen› sagen.» Und der sowjetische Offizier antwortete sofort: «Amen.»

Sharanskys Gebet wurde erfüllt und erinnert uns daran, dass das Anzünden von Kerzen ein Zeichen für die Beständigkeit des Glaubens ist – und den Glauben an das fördert, was wirklich Bestand hat. Dies gilt insbesondere nach einem Jahr, das für das jüdische Volk schwierig war, in dem aber auch der Glaube vieler Juden noch stärker geworden ist, als sie über die beeindruckende Ausdauer ihres Volkes im Laufe der Geschichte nachdachten. Und wenn es einen Vorsatz gibt, der sich für das Jahr 2025 lohnt, dann ist es, darüber nachzudenken, was in unserem Leben wirklich Bestand hat, und uns an Henry David Thoreaus Aphorismus und Erkenntnis zu erinnern: dass es unmöglich ist, Zeit zu töten, ohne unsere Ewigkeit zu verletzen.

Meir Soloveichik ist Oberrabbiner der Congregation Shearith Israel in Manhattan und Direktor des Zahava and Moshael Straus Center for Torah and Western Thought an der Yeshiva University.

Meir Soloveichik