Bei der Delegiertenversammlung des SIG zeigt sich einmal mehr – die Romandie sieht sich weiterhin zu schlecht vom Dachverband vertreten.
Ein scheinbar ruhiger Sonntag in Zürich: 88 von 110 Delegierten trafen sich dort zur Delegiertenversammlung des Verbands Schweizerischer Jüdischer Fürsorgen (VSJF) und des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG). Sämtliche Jahresrechnungen und Budgets wurden einstimmig angenommen – fast das einzige statutarische Traktandum. Dem Antrag um Statutenänderung wurde stattgegeben, die Geschäftsleitung künftig «Vorstand» und auf französisch «Comité» zu benennen, so wie es neuen behördlichen Vorgaben entspricht. Ein Programm, das bei den Gemeindevertreterinnen und -vertretern nur wenig Begeisterung hervorrief.
Obwohl es nicht ausdrücklich in ihren Statuten vorgesehen ist, prüft demgegenüber der VSJF, der unter anderem ukrainisch-jüdische Geflüchtete unterstützt, eine intensivere Förderung israelischer Institutionen. Ansonsten zelebrierte die Führung im SIG grosse Einigkeit, es sei alles in bester Ordnung. Doch da ist die zunehmend beunruhigende politische Lage im Bereich Antisemitismus, die immer wieder erwähnt und bis zum kurzen Schlussvotum von Eli Elkaim, Präsident der Jüdischen Gemeinde Lausanne, nicht vertieft wurde.
Genau das zeigten die Workshops ausserhalb der statutarischen Versammlung am Nachmittag: Besonders in der Romandie ist die Verunsicherung gross. Es wurde deutlich, wie tief der «Röstigraben» zwischen den Delegierten aus der deutsch- und der französischsprachigen Schweiz verläuft.
Neue Realitäten
Nach intensiven Diskussionen forderten die Delegierten ein stärkeres Engagement des SIG bei der Unterstützung der Gemeinden, etwa durch gemeinsame Plattformen. Ebenso verlangten sie verstärkte Bildungsarbeit innerhalb der Gemeinden – vor allem für Jugendliche, die an ihren Schulen mit antisemitischem und antiisraelischem Druck konfrontiert sind. Der SIG müsse näher bei den Gemeinden sein und schneller reagieren können, so die einhellige Meinung.
Ralph Friedländer, seit einem Jahr SIG-Präsident, sprach von einem Jahr «grosser Herausforderungen, aber auch starker Solidarität». Er sei sich bewusst, dass es nicht nur um die Leitung eines Verbands gehe, sondern darum, «die Stimme der Juden in der Schweiz gegenüber Politik, Medien und Gesellschaft zu vertreten». In einer Welt, die sich seit dem 7. Oktober 2023 verändert habe – und in der sich in der Schweiz die Zahl antisemitischer Vorfälle verdreifacht hat –, musste Friedländer diese Realität zuletzt selbst erfahren, als propalästinensische Aktivisten seine Rede an der Universität Zürich störten.
Zugleich rief er auch Israel zu mehr humanitärer Hilfe für die Bevölkerung in Gaza auf. Am Montag reiste Friedländer nach Israel zum Jüdischen Weltkongress, wo er sich um einen Sitz im Exekutivkomitee bewirbt.
Hamas-Verbot
Der SIG hat sich mit anderen Organisationen dafür eingesetzt, dass Hamas offiziell als Terrororganisation eingestuft wird. Auch wenn dies spät erfolgte, ist das Verbot am 15. Mai in Kraft getreten. Der Gesetzesentwurf zur Verbotsregelung von Nazi-Symbolen befand sich bis Ende März 2025 in der Vernehmlassung und wird dem Parlament zu gegebener Zeit in überarbeiteter Form erneut vorgelegt. Der Gemeindebund unterstützt diesen Gesetzesentwurf, sprach sich aber für eine klar definierte, kurze Liste von verbotenen Symbolen aus, statt einer offenen Definition. Ziel ist es, Unsicherheiten in der Bevölkerung zu vermeiden. Denn wenn ein Symbol juristisch nicht eindeutig ist, kann es Jahre dauern, bis das Bundesgericht eine Entscheidung fällt.
Strukturelles Defizit
Finanziell konnte der SIG in diesem Jahr ein positives Ergebnis vorweisen nach dem Verlust von 2 Millionen im vergangenen Jahr. Er schloss sie mit einem Gewinn von rund 1,6 Millionen Franken ab – obwohl das Budget ursprünglich ein Minus von über 400 000 Franken vorsah. Für das Resultat sorgte eine Erbschaft, höhere Kapitalerträge durch günstige Börsenentwicklungen und Förderungen. Das Erbe – rund 1,8 Millionen Franken in Form von Wertschriften und Liquidität – wurde als ausserordentlicher Ertrag verbucht. Eine weitere Zuwendung in Form einer Unternehmensbeteiligung ging an die «Zukunftsstiftung». Gemäss dem Willen des Erblassers wird das Vermögen dort als Fonds verwaltet.
Vizepräsident Ralph Lewin verwies auf das nach wie vor bestehende strukturelle Defizit und die erhöhten Ausgaben. Er verfolge weiterhin den Plan, dies zu beheben. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der SIG bei den Ausgaben ebenso wie in der Wahrnehmung ein Deutschschweizer oder gar Züricher Verband ist. Programme wie Likrat gibt es in der Romandie nicht, der Kampf gegen Antisemitismus bleibt in der Romandie noch mehr als in Deutschschweizer Gemeinden ausserhalb Zürichs Gemeinde- oder Aufgabe der CICAD.