Sydney 31. Dez 2025

Fake News um das Massaker von Bondi

Soziale Medien wurden gezielt instrumentalisiert, um Falschinformationen über die Identität der Täter des Massakers von Bondi zu verbreiten – ebenso über den Mann, der eingriff, um einen der Schützen…

Soziale Medien wurden gezielt instrumentalisiert, um falsche Informationen über die Identität der Täter des Massakers von Bondi zu verbreiten – ebenso über den Mann, der einen der Schützen entwaffnete – eine Aufarbeitung

Einige Tage nachdem zwei vom «Islamischen Staat» (IS) inspirierte Täter während einer Chanukkafeier am Bondi Beach in Australien 15 Menschen ermordet hatten, teilte der Bürgermeister von Richmond im US-Bundesstaat Kalifornien mehrere Beiträge auf LinkedIn. «Ruhe in Frieden allen Opfern von Israels False-Flag-Angriffen», hiess es in einem. «Israel versucht, Angst und Hass zu erzeugen. Lasst euch nicht täuschen.»

Bürgermeister Eduardo Martinez veröffentlichte zwei weitere Beiträge – archiviert vom Jewish Community Relations Council der Bay Area –, in denen er Israel beschuldigte, den Anschlag inszeniert zu haben, und das Land sowie seine Bürger für antisemitische Reaktionen verantwortlich machte.

Eine Woche später veröffentlichte er erneut einen Beitrag auf LinkedIn – diesmal eine Entschuldigung. Darin schrieb er, Zionismus und Judentum dürften nicht gleichgesetzt werden, und seine früheren Aussagen spiegelten nicht die Haltung des Stadtrats oder der Stadt wider, sondern ausschliesslich seine persönliche Meinung. Er löschte seinen Account, blieb jedoch trotz Protesten aus der Bevölkerung und aus Teilen des Stadtrats im Amt.

Verschwörungstheorien im Informationsvakuum
Dieser Fall ist kein Einzelfall. Weil die Details des Anschlags in Sydney nur langsam bekannt wurden, schossen Verschwörungstheorien ins Kraut und füllten das Informationsvakuum einer Öffentlichkeit, die nach sofortigen Erklärungen verlangte.

Stunden, wenn nicht Tage, vergingen, bis ein klares Bild der Tat vorlag. Heute ist bekannt: Der in Indien geborene Sajid Akram und sein Sohn Naveed hatten den Anschlag über Monate hinweg geplant, den Ort auskundschaftet und mit Schusswaffen trainiert. Im Oktober filmten sie sich vor einer IS-Flagge, verurteilten darin «Zionisten» und «erklärten» ihre Motive, wie die Polizei mitteilte.

Während des Angriffs warfen sie Sprengsätze in die Menge, die nicht detonierten; in ihrem Fahrzeug befand sich eine IS-Flagge. Sie ermordeten 15 Menschen, die an einer Chanukkafeier der Chabad-Gemeinde teilnahmen. Das jüngste Opfer war die zehnjährige Matilda, das älteste der 87-jährige Holocaust-Überlebende Alexander Kleytman.

Mehrere Menschen versuchten, die Täter aufzuhalten. Einer von ihnen war Ahmad al Ahmad, ein muslimischer Gemüsehändler, der einen der Schützen zu Boden brachte und entwaffnete – und dabei selbst verletzt wurde.

Zwei gezielte Narrative
«Vom ersten Moment an sahen wir Versuche, das Narrativ entlang einer bestimmten Agenda zu formen – wie bei vielen Ereignissen mit grosser medialer Aufmerksamkeit», sagt Roi Soussan, Leiter Public Affairs bei «Fake Reporter». «Wir können nicht mit Sicherheit sagen, welche Agenda das ist, aber die Bemühungen konzentrierten sich klar auf zwei Themen: die Identität der Täter und die Identität des Mannes, der die Tat stoppte.»

Sehr früh kursierten Beiträge, die behaupteten, der jüngere Täter Naveed Akram sei kein islamistischer Extremist, sondern ein israelischer Jude, der im Gazastreifen gedient habe. Diese Inhalte erzielten Millionen Aufrufe.

Ein besonders weit verbreitetes Bild zeigte angeblich das Facebook-Profil des Schützen: Unter dem Namen «David Cohen», «stolzer Jude» aus Tel Aviv, mit Davidstern, hebräischer Schrift und Fotos einer angeblichen Bar-Mizwa-Feier.

Ein kurzer Blick reichte jedoch, um zu erkennen, dass das Profil KI-generiert war: Freundesnamen wie «Jewish», wirrer englischer Text («Foepis» statt «People»), angebliche Posts am Schabbat von «article.com» und sinnlose hebräische Schrift.

Von Instagram bis Google Trends
Das Instagram-Konto «PalSoldier01», dessen Wasserzeichen auf einigen der gefälschten Bilder auftauchte, veröffentlichte das Bild kurz nach dem Anschlag und löschte es später mit dem Hinweis, es sei falsch gewesen. Dennoch hatte es bereits Zehntausende Menschen erreicht, von denen viele weiterhin an seine Echtheit glauben.

Weitere «Beweise» wurden über Google Trends konstruiert: Behauptet wurde, Israelis hätten kurz vor dem Anschlag den Namen eines Täters gegoogelt. Fake Reporter konnte diese Ergebnisse nicht reproduzieren. Die Abweichungen erklären sich laut Soussan durch VPN-Nutzung, Serverfehler und Zeitzonen. «Die Beiträge erreichten Millionen. Wir wissen nicht, wer dahintersteckt – ein Einzelner, ein Staat, eine nicht staatliche Gruppe. Aber klar ist: Die Infrastruktur dieser Kampagne war erfolgreich.»

Ein erfundener Held
Auch manipulierte Bilder von Opfern kursierten, darunter von Arsen Ostrovsky, einem «proisraelischen» Juristen, der beim Anschlag schwer verletzt wurde. Gefälschte Bilder sollten suggerieren, seine Verletzungen seien inszeniert gewesen. Parallel tauchte am Tag des Anschlags eine gefälschte Website auf – optisch eine Kopie eines echten australischen Nachrichtenportals –, die einen angeblich weissen australischen Helden namens Edward Crabtree feierte. Die Seite war auf den Tag des Anschlags registriert, enthielt nur diesen einen Artikel und fiktive Autoren. Ziel dieser Desinformation sei es gewesen, die Rolle von Ahmad al Ahmad auszulöschen und durch eine andere Erzählung zu ersetzen, so Soussan.

In Israel wurde dieses Narrativ vom Influencer Daniel Amram aufgegriffen, und schliesslich sogar vom israelischen Premierminister Binyamin Netanyahu in einer Rede wiederholt. «Ein Mangel an Genauigkeit auf dieser Ebene kann enormen Schaden anrichten», sagt Soussan.

Antisemitismus und konspiratives Denken
Antisemitische Verschwörungstheorien seien älter als soziale Medien, sagt Kenneth S. Stern, Direktor des Bard Center for the Study of Hate. «Der Kern des Antisemitismus ist konspiratives Denken – die Vorstellung, Juden würden im Geheimen der Menschheit schaden.» Solches Gedankengut sei weder exklusiv links noch exklusiv rechts, sondern besonders dort verbreitet, wo politische Überzeugungen zur Identität werden. Die Lösung liege nicht in Zensur, sondern in kritischem Denken, Bildung und klarer Gegenrede durch Autoritäten. Nicht jeder lasse sich überzeugen, aber viele könnten davor bewahrt werden, tiefer in den Kaninchenbau der Verschwörungen zu rutschen.

Soussan rät: «Nach schockierenden Ereignissen ist es menschlich, sofort Antworten zu suchen. Aber genau dieses Zeitfenster wird missbraucht. Innehalten. Abwarten. Seriöse Quellen nutzen. Sensationslust meiden.»


Linda Dayan