Basel, September 2020. Eine wesentliche Charakteristik des Judentums ist ausgeprägte Vielfalt, lokale Unterschiedlichkeit und kulturelle Symbiose mit der Umgebung. Während modernes Judentum in den letzten Jahren durch internationale Entwicklungen teils zentralistischer, durch «importierte» Rabbiner und israelische Einflüsse einheitlicher und durch ökonomische oder gesellschaftliche Faktoren weniger dezentral wurde, bedeutet ausgerechnet die Pandemie einen möglichen Aufbruch. So sind in den letzten Monaten und gerade auch über die «jamim noraim» unzählige neue Minjanim in Privatumgebungen, neue Lerninitiativen, neue Formen der Versammlung entstanden und eine neue alte sich verselbstständigende Vielfalt gelebter jüdischer Realität, die sich rasch an Entwicklungen anpasst, immer wieder neu erfindet und gleichzeitig festgefahrene oder schlicht bedingt positive Entwicklungen aufbricht. Das Judentum wird anders durch die neue föderalistische Vielfalt, die sich Rabbinern, Gemeindestrukturen entzieht und individueller, kreativer, leuchtender wird. Viele kleine unabhängige Gemeinschaften wirken anders als wenige grosse institutionalisierte. Jüdinnen und Juden machen aus der Not oft eine bleibende Tugend. Das neue Jahr 5781 wird in vielen Bereichen auf vielfältigen Ebenen eine jüdische Erneuerung etablieren. Und so schafft ausgerechnet die Pandemie einen Wandel, der noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre.
Yves Kugelmann ist Chefredaktor der JM Jüdischen Medien AG.
das jüdische logbuch
25. Sep 2020
Pandemie impft Judentum

Yves Kugelmann