Das Deutsche Historische Museum Berlin zeigt eine Rekonstruktion von Ausstellungen der Jahre 1945–1948 zur Nazi-Besatzung in Europa – besonders eindrücklich sind die Materialien zu den jüdischen Gedenkausstellungen jener Jahre.
Mit der dokumentarisch gestalteten Wechselausstellung «Gewalt ausstellen: Erste Ausstellungen zur NS-Besatzung in Europa, 1945–1948» widmet sich das Deutsche Historische Museum (DHM) der weitgehend unbekannten Geschichte früher Auseinandersetzungen mit der deutschen Gewaltherrschaft. Ausschlaggebend für das Projekt ist der 2020 gefällte Beschluss des Deutschen Bundestages, ein Dokumentationszentrum zur deutschen Besatzung in Europa während des Zweiten Weltkriegs einzurichten. Der Auftrag, das Konzept zu dessen Realisierung auszuarbeiten, erging an das von Rafael Gross geleitete DHM. Dazu schreibt Gross im Vorwort zur Ausstellung: «Schnell wurde uns deutlich, dass die Darstellung und Vermittlung der Besatzungsverbrechen über das Medium Ausstellung noch während der Geschehnisse beziehungsweise direkt nach der Niederlage NS-Deutschlands begann. Doch 1948 brach das transnationale Bestreben, die Gewaltereignisse zu dokumentieren, zu sammeln und auszustellen, fast schlagartig ab. Die Hochphase des Kalten Krieges setzte ein und überschattete die Auseinandersetzungen mit den Besatzungsverbrechen NS-Deutschlands.»
Fünf Schauplätze in Europa
Die Berliner Dokumentation der Ausstellungsgeschichte zur nationalsozialistischen (NS) Gewalt in Europa umfasst fünf Schauplätze, an denen zwischen 1945 und 1948 erste Darstellungen den Terror und die Verbrechen der deutschen Herrschaft über Europa zum Inhalt hatten. Den Anfang machte London mit «The Horror Camps», einer Ausstellung, die noch einige Tage vor der deutschen Kapitulation eröffnet worden war. Die von überdimensional vergrösserten Fotografien der Leichenberge im Lager Bergen-Belsen dominierte Schau war vom britischen Massenblatt «Daily Express» organisiert worden. Schon ab Mitte April 1945 erschienen in der angelsächsischen Presse täglich Bilder des von der British Army befreiten Konzentrationslagers. Die Leserschaft reagierte offensichtlich so fassungslos, dass die Zeitung bekannt gab, sie werde Bilder, die zu grauenvoll seien, um sie abzudrucken, in ihrem Lesesaal in London und anderen Städten ausstellen.
Wahrnehmung als Sensation
Über eine halbe Million Menschen besuchte die mit heutiger Wahrnehmung als Sensation vermarkteten Ausstellungen. Die schockierenden Fotos aus den soeben befreiten Konzentrationslagern wurden mit der Überschrift «Seeing is Believing» («Sehen heisst glauben») präsentiert. Auch wenn die gezeigten Gräuel bei den Besucherinnen und Besuchern einen tiefen Eindruck hinterlassen hatten, so unterliess es die Londoner Ausstellung, auf die Funktion der Lager und die Identität der Insassen näher einzugehen. Dass die meisten der in den Lagern entdeckten Opfer Juden waren, hatte die internationale Presse damals nicht hervorgehoben. Auch über die schon Monate zuvor von der Sowjetarmee befreiten Vernichtungslager im Osten hatten die westlichen Medien nur am Rand berichtet. Dies zeigt auch eine 2020 publizierte Recherche von tachles. In den meinungsführenden Schweizer Tageszeitungen wurde über die Befreiung von Auschwitz Ende Januar 1945 nicht berichtet.
Die zweite, diesmal staatlich legitimierte Ausstellung wurde am 10. Juni 1945 im Pariser Grand Palais mit dem schlagwortstarken Titel «Crimes hitlériens» («Hitlerische Verbrechen») eröffnet. Die Ausstellung entwickelte sich dank ihres Umfangs und einer aufsehenerregenden Werbung knapp einen Monat nach Kriegsende zu einem «Kassenschlager». «Die Ausstellung», so der Katalogtext des DHM, «leistete nach dem Krieg einen entscheidenden Beitrag zur französischen Nationenbildung». Die als «Gemeinschaft des Leidens» inszenierte Darstellung hatte ihren suggestiven Höhepunkt im Ausstellungsplakat, das die an ein Hakenkreuz genagelte Symbolfigur Frankreichs, die Marianne, zeigte. Die durch das französische Informationsministerium finanzierte und auch organisierte Ausstellung zielte vor allem darauf, die deutsche Okkupation Frankreichs als «Martyrium der Nation» darzustellen. Das Leiden der französischen Juden wurde mit nur sechs von insgesamt 150 Schautafeln nebensächlich behandelt. «Die spezifische Erfahrung der jüdischen Opfer war einer umfassenden kollektiven Nationalerzählung untergeordnet», vermerkt der DHM-Kommentar. «Crimes hitlériens» wurde von über einer Million Menschen besucht.
Die Reaktion auf das chauvinistische Narrativ von «Crimes hitlériens» führte ein Jahr später mit der Ausstellung «Crimes hitlériens dans les camps et ghettos de Pologne» zu einer ersten jüdischen Reaktion. Schon 1947 folgte eine weitere Ausstellung, «Les juifs dans la résistance française.» Beide Manifestationen dieser «jüdischen Selbstrepräsentation» gingen auf den polnisch-jüdischen Resistance-Kämpfer David Diamant zurück, dessen rigoroses kuratorisches und publizistisches Wirken den langen Weg bis zur Errichtung des nationalen «Mémorial de la Shoah» anbahnte, das die Geschichte der französischen Juden im Holocaust dauerhaft dokumentiert.
Die Verschonten
Eine weitere, staatstragend arrangierte Ausstellung zur NS-Gewalt wurde am 3. Mai 1945 in Warschau eröffnet. Die vom Ministerium für Kultur und Kunst und Wiederaufbau durchgeführte Schau trug den Titel «Warschau klagt an». Anders als im von einer NS-Besatzung verschonten London oder im Paris der latenten Kollaboration offenbarte der Blick durch die Fenster des polnischen Nationalmuseums die Ruinen einer beinahe vollständig dem Erdboden gleichgemachten Stadt. Folgerichtig wurde das Publikum intensiv mit den Zerstörungen und dem erlittenen Kulturverlust konfrontiert. Erst zum Ende des Parcours rückten dann die Visionen des Wiederaufbaus in den Mittelpunkt der Ausstellung. Der Tenor sollte das polnische Leid im Krieg versinnbildlichen. «Die Wahrnehmung erzeugte jedoch eine nationalistische Perspektive, die Minderheiten ausgrenzte», kommentiert der Begleittext des DHM. So wie in Frankreich wurde auch in Polen, dessen multiethnische Bevölkerung vor dem Krieg zu etwa 15 Prozent (in Warschau waren es 35 Prozent) aus jüdischen Menschen bestand, in den Ausstellungen zur NS-Gewalt das kollektive Martyrium und die anschliessende Wiedergeburt der Nation zelebriert. Die scharf antideutsch formulierte Warschauer Ausstellung tourte anschliessend durch Europa. Sie war auch in Bern, Zürich und Winterthur zu sehen.
Ein aufschlussreiches, weil sehr klar dokumentiertes Kapitel der Berliner Rekonstruktionen ist der Ausstellung «Martyrologye un kamf» («Martyrium und Kampf») des polnischen Jüdischen Historischen Instituts gewidmet, die im April 1948 in Warschau eröffnet wurde. Diese Ausstellung war die erste breit dokumentierte Darstellung des Holocaust aus einer jüdischen Perspektive. «Martyrologye un kamf» wurde auf der Grundlage einer akribischen Sammlungsarbeit der Zentralen Jüdischen Historischen Kommission realisiert, die schon 1944 mit dem Aufbau eines umfassenden Archivs zur Schoah eingesetzt hatte. Zudem konnten erstmals Vermächtnisse aus dem Fund des Ringelblum-Archivs gezeigt werden, der im September 1946 unter den Trümmern des Warschauer Ghettos geborgen werden konnte. Inhaltlich war die Ausstellung in vier Sektionen gegliedert: Fotos und Verordnungen der deutschen Täter, Leben und Leiden in den jüdischen Ghettos, die systematische Vernichtung der polnischen Jüdinnen und Juden, der jüdische Widerstand.
Die in den Räumen des Jüdischen Historischen Instituts gezeigte Ausstellung bildete einen europäischen Höhepunkt in der frühen Erinnerung an den Holocaust. «Ziel der Ausstellung war es, die Erinnerung an die Ermordeten zu bewahren und das intellektuelle Erbe der polnischen Juden vor dem Krieg zu würdigen. Eine traumatisierte jüdische Gemeinschaft erzählte darin von frischen Wunden. (…) Die jüdischen Besucher der Ausstellung waren auf Schritt und Tritt mit Verlusten konfrontiert», kommentiert der informative Berliner Katalog, der zudem einen lesenswerten Aufsatz zur Tätigkeit und Bedeutung der zentralen Jüdischen Historischen Kommission anbietet.
London und Paris
Der letzte Schauplatz in der Chronologie der Ausstellungen zur NS-Gewalt führt die Besuchenden zu der Gedenkstätte der Nazi-Barbarei, die im September 1946 in der tschechoslowakischen Stadt Liberec eröffnet wurde. Liberec lag einst im sogenannten Sudetenland und eignete sich deshalb nach der Vertreibung der Deutschen als Ort der wiedergeborenen tschechischen Identifikation. Die Gedenkstätte, einst das Wohnhaus einer jüdischen Unternehmerfamilie und im Anschluss daran die Residenz des NS-Gauleiters, wurde anders als die Ad-hoc-Ausstellungen in London oder Paris als ideologisch motivierte Dauerausstellung errichtet, die mit dem getreuen Nachbau von Gefängniszellen, Folterkammern und dem Aufbau einer Hinrichtungsstätte die Folgen von Faschismus und Totalitarismus inszenierte. 1964 wurde das Museum von Liberec geschlossen, weil damals in der Festung Theresienstadt der zentrale Ort der Erinnerung an die tschechoslowakischen Opfer unter der deutschen Besatzung errichtet wurde.
Erwähnt wird zum Ende von «Gewalt ausstellen», wenn auch schon einer neuen Zeitrechnung zuzuordnen, eine Ausstellung, die 1947 im Displaced Persons Camp in unmittelbarer Nähe des Lagers von Bergen-Belsen gezeigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt warteten dort noch etwa 11 000 jüdische DPs auf ihre Weiterwanderung. Die von mehreren DP-Gruppierungen gestaltete Ausstellung trug den Titel «Unser Weg in die Freiheit». Damit benannten die Überlebenden ihren Diskurs, der die Befreiung als einen Zeitraum zwischen Trauma und Hoffnung definierte. Ab 1948 leerten sich die DP-Camps. Danach wurden die Spuren dieser Ausstellung in alle Winde zerstreut.
«Gewalt ausstellen» ist eine Gratwanderung zwischen einer musealen Rekonstruktion der bis heute noch wenig erforschten Auseinandersetzung mit der Gewalttätigkeit der NS-Besatzung in Europa und einer im Aufbau begriffenen Präsentation von Materialien zum Thema. Insofern können die Ansammlung und Anordnung der meist fotografischen Exponate durch die Kuratierenden auch als vorbereitende Werkschau eines zukünftigen Dokumentationszentrums verstanden werden, was die Aussagekraft keineswegs mindert. Auffallend ist, dass die Dokumentation der NS-Gewaltexzesse gegen Juden und alles Jüdische in den Jahren nach Kriegsende offensichtlich dem jüdischen Erinnern oblag. Die Formung der nationalen Integrität in den Mehrheitsgesellschaften von Ost und West unterdrückte die Aufarbeitung der Schoah hingegen über Jahrzehnte hinweg. Eine ernüchternde Erkenntnis, deren Gültigkeit kein Verfallsdatum hat. l
Gewalt ausstellen, Deutsches Historisches Museum, Berlin, bis Mitte November 2025.
www.dhm.de