Eine neue Max-Frisch-Biografie zeigt auf, wie sich im Leben des Zürcher Schriftstellers Privates, Künstlerisches und Politisches noch weit mehr als bisher angenommen vermischten.
Basel, 1937: Am Badischen Bahnhof in Basel geleitete Max Frisch (1911–1991) seine Freundin Käte Rubensohn, eine deutsche Studentin, zum Zug nach Berlin, wo ihre Eltern lebten. Der Zürcher, der einer der meistgelesenen Schweizer Autoren werden würde, war Mitte 20. Er hatte bereits Erfolg als Journalist und Schriftsteller, seine Beziehung zu Käte Rubensohn (1914–1998) neigte sich unterdessen schon ihrem Ende zu. Derzeit rückt sie neu in den Fokus. Anlass ist der nun vorliegende zweite und abschliessende Band «Max Frisch. Biografie einer Instanz. 1955–1991» (Suhrkamp) des Zürcher Frisch-Biografen Julian Schütt. Im ersten Band «Max Frisch. Biografie eines Aufstiegs» hat der Literaturwissenschaftler die formativen Jahre in Frischs Leben in den Blick genommen. Schütt zeigt umfassend, wie sehr sich in Max Frischs Leben das Private mit dem Öffentlichen und Künstlerisches mit Politischem vermischten, weit mehr noch als bisher bekannt. Die junge Berlinerin Käte war für Frisch in einer entscheidenden Phase seiner Selbstfindung in gleich mehrfacher Weise bedeutsam. Sie beeinflusste den Schriftsteller Max Frisch persönlich, literarisch und politisch. Durch Käte bekam er früh Einblicke in praktische Auswirkungen der aufkommenden antijüdischen Politik. Später inspirierte seine «jüdische Freundin» (Max Frisch) ihn zu einer Figur in «Montauk» von 1975, auch die Hanna in «Homo Faber» trägt Züge von ihr. Käte Rubensohn spielte zudem eine Rolle bei Frischs Hinwendung zur Architektur. So markiert die Romanze eine Zeit beginnender Wandlungen im Leben von Max Frisch, der sich vom eher apolitischen konservativen Schweizer Autor zum linkskritischen europäischen Intellektuellen entwickelte, der er in der Nachkriegsära war.
Weltläufig und weit gereist
Kennengelernt hatte der angehende Romancier Max Frisch die 19-jährige Studentin 1934 an der Universität Zürich. Die «dunkelhaarige, ein rasantes Hochdeutsch sprechende» Kommilitonin, als die Julian Schütt sie im ersten Band seiner Frisch-Biografie beschreibt, war in die Schweiz gekommen, weil sie als Jüdin in Deutschland nicht mehr studieren konnte. Sie lebte allein in Zürich und hatte sogar eine eigene Bude, verbrachte die Semesterferien aber bei ihren Eltern in Berlin. Die Weltläufigkeit, die sie verströmte, faszinierte Max Frisch. Als Einzelkind in Berlin-Lankwitz aufgewachsen, stammte Käte, Tochter eines bekannten Archäologen, aus wohlhabender, dem Berliner Bildungsbürgertum angehörender Familie, welche väterlicherseits Anteile an einer Jutespinnerei und Weberei geerbt hatte. Kätes Vater, Otto Rubensohn, hatte sich um die Jahrhundertwende mit bedeutenden Ausgrabungen befasst, forschte im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts auf Paros, machte bedeutende Papyrus-Funde in Ägypten und war schliesslich in Berlin tätig. Auch Käte war, als Frisch sie kennenlernte, eine Weitgereiste. Im Sommer 1933 hatte sie einen Sprachkurs in Lausanne absolviert, danach lebte sie für ein halbes Jahr im Lande der Pharaonen. Einer ihrer Onkel war der in Kairo lebende Ägyptologe Ludwig Borchardt, der seiner Nichte Käte den Lebensunterhalt ausserhalb Deutschlands finanziert und später auch deren Eltern unterstützt habe. Borchardt, damals Grabungsleiter, ging Ende 1912 als Entdecker der Nofretete in die Geschichte ein. Ermöglicht hatte das Grossprojekt der jüdische Berliner Unternehmer und Mäzen James Simon. Bei der Aufteilung der archäologischen Funde war die Büste der Pharaonin der deutschen Seite zugesprochen worden. Ab Anfang der 1930er Jahre hatte Borchardt in Kairo sein privates Institut für ägyptische Bauforschung und Altertumskunde aufgebaut, das Ludwig-Borchardt-Institut (aus dem 1949 das Schweizerische Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde hervorging). Sein Vermögen hatte er in seine Stiftung in Schaffhausen überführt, die er mit seiner Frau Emilie 1931 gegründet hatte. Die Ludwig-Borchardt-Stiftung sollte die Finanzierung des Schweizer Instituts in Kairo langfristig sichern.
Schmerzhafte Trennung
Als Max Frisch Käte Rubensohn kennenlernte, lag eine erste Zeit des Umbruchs hinter ihm, nachdem er 1927, mit 16 Jahren, den Entwurf für ein erstes Theaterstück, «Stahl», zu Papier gebracht und 1930 an der Universität Zürich ein Germanistikstudium aufgenommen hatte. 1931 druckte die «Neue Zürcher Zeitung» («NZZ») einen ersten Text von ihm. 1932 starb sein Vater und Max Frisch, der bei Carl Gustav Jung Vorlesungen über Psychologie und zudem Vorträge über Kunstgeschichte gehört hatte, konzentrierte sich nun verstärkt auf seine Brotarbeit bei der «NZZ». Für 1935 war eine Reportagereise durch Deutschland geplant. Die kündigte Frisch seiner neuen Freundin Käte mit den Worten an, er wolle «friedliche Impressionen» sammeln und diese für die «NZZ» als «Kleines Tagebuch» notieren. Käte aber sensibilisierte ihn für die im Alltag schon spürbaren Repressalien gegen Juden. Die Studentin war, wie Frisch auch, bis dato eigentlich unpolitisch. Bei Semesterferienreisen nach Hause aber erkannte sie, dass sie in Berlin nicht bleiben konnte, fühlte sich, trotz gelegentlicher germanophober oder antisemitischer Sprüche auch in Zürich, in der Schweiz ohnehin wohl. Die Eindrücke aus Deutschland, die Frisch auf seiner Reise festhielt, waren bedrückender als erwartet. Er kritisierte die in einer Ausstellung in Berlin zur Schau gestellte Schmähung der Juden und riet zur «Mässigung in der Rassenfrage». Nach drei Wochen in Deutschland fuhr Käte dem Zurückreisenden entgegen, in Nürnberg sahen Max und sie sich wieder. Die nächste Auslandsreise unternahmen sie Ende 1936. Als Anglistikstudentin im Nebenfach absolvierte Käte ein Semester in Grossbritannien, Max und sie trafen sich auf halbem Weg in Amsterdam. Anschliessend verbrachten sie ein paar Tage in Berlin. Für den Zürcher Schriftsteller war seine Muse Käte Rubensohn die ideale Kultur-Deutsche. Das Paar teilte die grosse Leidenschaft fürs Theater. Er wollte Stücke schreiben, sie liebäugelte mit einer Bühnenlaufbahn, gab die Buhlschaft in einer Studentenaufführung im Zürcher Grossmünster, bereitete sich sogar auf die Aufnahmeprüfung für die Schauspielschule in Zürich vor, blieb aber letztlich bei Germanistik. Käte und Max waren gern unterwegs, ein Foto zeigt das Paar 1936 in Davos, eines die zwei 1937 im Zürcher Café Studio, ein weiteres beide am Greifensee im Zürcher Hinterland. Käte hatte sich für eine Seminararbeit dorthin zurückgezogen, wo Max sie besuchte. Bei Spaziergängen liess er sie seine feuilletonistischen Texte für die «NZZ» lesen, liebte es, mit ihr zu diskutieren, schenkte ihr seinen ersten Roman. Doch so richtig festlegen wollte Frisch sich nicht. Sie kannten sich gut vier Monate, als er ihr seine Grundsätze zum Thema Hochzeit und Treue erklärte. Das Konzept der bürgerlichen Ehe dünke ihn als «der grösste Witz, den sich die Menschen erlauben», liess er Käte Ende August 1934 in einem Brief wissen. Aber ihm wurde auch bewusst, dass seine Freundin die Schweiz würde verlassen müssen, wenn er sie nicht heiratete. Schon sein Bruder hatte eine Jüdin aus Polen geheiratet und mit ihr eine Familie gegründet – für die Mutter wohl etwas viel. Hinzu kam Kätes Kinderwunsch. Max konnte sich nicht vorstellen, Vater zu werden, bevor er auf festeren Füssen stand, und vom Geld ihres Onkels in Kairo wollte er nicht abhängig sein. Max Frisch fühlte sich von vielen Seiten unter Druck. Als Frisch seine Gefährtin Käte schliesslich doch zu ehelichen beabsichtigte, war mit den Papieren auch ein Arier-Nachweis im Stadthaus vorzulegen, wie Frisch sich später erinnerte. Wütend habe der Bräutigam das Dokument zerrissen. Am Ende zerbrach die Verlobung an der Heiratsfrage. Käte Rubensohn wollte nicht geehelicht werden, nur um in der Schweiz bleiben zu können. Und es verletzte sie, als eine Bekannte aus dem Englandsemester zu Besuch kam, die mit Max zu flirten begann, wofür der sich nicht ganz unempfänglich zeigte. Das Paar trennte sich. Das Auseinandergehen aber war ambivalent, langsam und schmerzhaft. Auf dem Bahnhof in Basel versuchte er ein letztes Mal, sie zu halten, doch Käte fuhr ab nach Berlin. Im Frühjahr 1939 emigrierten ihre Eltern auf Drängen der Tochter in die Schweiz. Käte, die ihr Studium fortgesetzt hatte, heiratete später den Kunsthistoriker Fortunatus Schnyder-Rubensohn du lebte mit ihm in Basel.
Nachlass im Jüdischen Museum Berlin
Käte Rubensohn bestärkte um 1936 auch Max Frischs Hinwendung zur Architektur. Ihr war sein Talent zum Entwerfen aufgefallen und sie legte ihm nahe, diese Seite seiner Kreativität weiterzuverfolgen. Frisch studierte Architektur, fuhr beruflich doppelgleisig und machte auch in dieser Profession Karriere, unter anderem als Erbauer des Freibades Letzigraben in Zürich. Wie gross Käte Rubensohns Einfluss auf Max Frischs Werdegang war, erhellte vor 30 Jahren erstmals Urs Birchers 1997 im Zürcher Limmat-Verlag erschienenes Buch «Vom langsamen Wachsen eines Zorns. Max Frisch 1911–1955». Bircher, Dramaturg und Regisseur, hatte in Zürich 1989 die Uraufführung des letzten Frisch-Dramas «Jonas und sein Veteran» betreut. Der Theatermacher Bircher kannte den Theaterautor Frisch also aus vielen Gesprächen, doch Bircher konnte auch aus einem Fundus persönlicher Eindrücke schöpfen. In jungen Jahren in Basel mit einem der Söhne von Käte Schnyder-Rubensohn befreundet, war er in deren Haus ein und aus gegangen. So konnte Bircher sein Buch auch auf die über 100 erhaltenen Briefe stützen, die Max Frisch ihr einst geschrieben hatte. 1994 gab Käte Rubensohn im Haus ihrer Familie auf dem Bruderholz Urs Bircher ein langes (im Max-Frisch-Archiv verwahrtes) Interview. Die von der Adressatin ausgewählten Briefpassagen las ihr Mann Fortunatus Schnyder-Rubensohn dem Interviewer vor. Sie selbst sei wegen ihrer Parkinson-Erkrankung dazu nicht mehr in der Lage gewesen. Käte Rubensohn starb 1998 in Basel. Im Jahr 2006 übergab Fortunatus Schnyder-Rubensohn (1915–2016), Kätes Witwer, den Otto-Rubensohn-Nachlass an das Jüdische Museum Berlin. Aus Anlass des 100. Geburtstages des Schenkungsgebers Schnyder-Rubensohn erschien 2015 die Festschrift «Heiligtümer, Papyri und geflügelte Göttinnen: Der Archäologe Otto Rubensohn». Fortunatus Schnyder-Rubensohn starb 2016 im 102. Lebensjahr. In seiner nun abgeschlossenen Max-Frisch-Biografie hebt Schütt vielerlei jüdische Aspekte hervor: Beispielsweise, dass Frischs Mitschüler spekuliert hätten, der Klassenkamerad müsse, trotz Konfirmation, «halbjüdisch» sein, welcher Schweizer heisse schon «Frisch». Dass unter anderem Frischs Kontakte zu Ensemblemitgliedern des Schauspielhaus-Ensemble seine Politisierung vorantrieben. Dass Frisch etwa in «Andorra» von eigenen Erfahrungen mit Antisemitismus ausging. Und dass der junge Marcel Reich-Ranicki als Fan des «Homo Faber» zu den frühen Fürsprechern des Schriftstellers Max Frisch gehörte und damit enormen Einfluss auf die dessen Karriere hatte. Es entsteht das facettenreiche Bild eines längst zum Klassiker gewordenen Autors, eines kritischen Intellektuellen, der sich in Krisensituationen wie der gegenwärtigen als Stimme bewährt , als literarische Stimme eines Individuums, das sich zu seiner Zeit verhalten muss. l
Buchpräsentation: «Julian Schütt: Max Frisch. Biografie einer Instanz. 1955–1991», 23. Juni, 20 Uhr, Schauspielhaus Zürich, Zeltweg 5, Zürich.