Das israelische Rückkehrgesetz wird 75 Jahre alt und sorgte innerhalb und ausserhalb Israels immer wieder für Debatten – ein Blick auf die Hintergründe.
Vor genau 75 Jahren, am 5. Juli 1950, verabschiedete die Knesset, das noch junge Parlament des eben zwei Jahre alt gewordenen Staats Israel, das Rückkehrgesetz, «Chok haschwut». Es legte die Grundlage für jüdische Einwanderung nach Israel, blieb aber in seiner konkreten Ausformulierung bis heute kontrovers. Das Gesetz setzte das Prinzip eines jüdischen Staates so um, dass Israel allen Jüdinnen und Juden das Recht auf Einwanderung in den jungen Staat und den schnellen Erwerb der Staatsbürgerschaft garantierte. Israel sah und sieht sich als Zufluchtsstätte der Juden: Jüdinnen und Juden sollten nie mehr schutzlos der Verfolgung und dem Massenmord ausgeliefert sein. Das ist bis heute israelische Staatsräson und die Raison d’Être. Im Jahre 1954 wurde das Gesetz dahingehend geändert, dass in begründeten Fällen, zum Beispiel für Straftäter, das Recht auf Einwanderung verwehrt werden kann.
Der Rückgriff auf eine wie immer definierte ethnisch-religiöse Zugehörigkeit samt quasi automatischen Einwanderungsrecht ist im Übrigen nicht ganz so einzigartig, wie es heute manche glauben machen wollen. So etwa pflegt Deutschland nach wie vor das «Ius sanguinis», das Abstammungsprinzip, für den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft. Dies hat nach dem Fall der Sowjetunion rund 2,5 Millionen sogenannten Spätaussiedlern die Auswanderung nach Deutschland und die rasche Einbürgerung ermöglicht. Erst seit dem Jahr 2000 ergänzt Deutschland das Abstammungsprinzip durch das Geburtsortprinzip («Ius soli»), sodass unter bestimmten Voraussetzungen auch Kinder ausländischer Eltern, die in Deutschland geboren sind, die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben können.
Wer ist Jude?
Beim Rückkehrgesetz macht nun seit Jahrzehnten die Frage, wer nach dem Gesetz als «Jude» gilt, Schlagzeilen. In der ursprünglichen Fassung wurde dies nicht näher definiert. Erst 1970 folgte eine wichtige Ergänzung: Das Einreise- und Niederlassungsrecht wurde auf Menschen mit mindestens einem jüdischen Grosselternteil sowie auf mit einem jüdischen Partner verheiratete Person ausgeweitet, unabhängig davon, ob die Betroffenen nach orthodoxer Auslegung des jüdischen Religionsgesetzes als jüdisch gelten oder nicht. Gleichzeitig wurde das Rückkehrrecht auch auf nicht jüdische Kinder und Enkel ausgeweitet.
Politische und gesellschaftliche Debatten
Damit gab es von nun an in Israel zwei Antworten auf die Frage «Wer ist Jude?»: Die klassische orthodoxe, halachisch-religionsgesetzliche, wie sie das Oberrabbinat bei Konversionen durchsetzt, und die weiter gefasste staatliche Definition im Rückkehrgesetz. Entsprechend kennen die Demografen bei der Analyse jüdischer Bevölkerungszahlen weltweit heutzutage drei Kategorien: Die halachische, die etwas weitere Kategorie der «Core Jews» die auch Jüdinnen und Juden umfasst, welche nicht halachischen Kategorien entsprechen, und die Kategorie der «Law of Return Jews», welche die beiden vorherigen Gruppen mit umfasst und daher die grösste Kategorie ist. Die Existenz mehrerer Definitionen jüdischer Identität führt naturgemäss zu Friktionen. So ist die Gesetzes-definition in Israel massgeblich für den Erwerb der Staatsbürgerschaft. Die halachische Definition ist hingegen massgeblich bei allen Interaktionen mit dem Rabbinat, so wie Konversionen, Beerdigungen, Heirat und Scheidung. In Israel gibt es bekanntlich als Erbe der osmanischen Zeit keine Zivilhochzeit. Auch sonst ist das Rückkehrgesetz nicht unumstritten. So werfen Kritiker dem Gesetz vor, Diskriminierung zu begünstigen, da es nicht jüdische Einwanderer, etwa die zahlreichen Arbeitskräfte aus Asien und Afrika, nicht berücksichtigt, während die Definition Israels als jüdischer Staat zur ungleichen Behandlung arabischer Israelis führe.
Zum Thema wurde die Diskrepanz zwischen Halacha und Rückkehrgesetz vor allem auch in den 1990er Jahren im Zuge der Masseneinwanderung aus der ehemaligen Sowjetunion. In der UdSSR war durch den Staat die jüdische Identität und der offizielle Status «Ewreji» durch den Vater weitergegeben worden und nicht wie in der Halacha vorgesehen von der Mutter. Viele, die sich seit jeher als Jüdinnen und Juden identifizierten und als solche nach Israel unter dem Rückkehrgesetz einwandert waren, sahen sich plötzlich vom Rabbinat nicht als solche anerkannt. Dies führte zu heftigen gesellschaftlichen Verwerfungen, die bis heute nur teilweise gelöst sind, etwa durch Konversionsklassen der israelischen Armee.
Aktuelle Relevanz
Auch im Jahr 2025 ist das Rückkehrgesetz hochaktuell. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus in verschiedenen Teilen der Welt, vor allem in Europa und Nordamerika, denken laut Umfragen in den meisten Ländern zwischen 30 und 40 Prozent der Jüdinnen und Juden an eine Auswanderung nach Israel. Auch wenn sich die Alija nach Israel seit dem 7. Oktober abgeschwächt hat, bleibt damit die Frage nach einer adäquaten Antwort auf die Frage «Wer ist Jude?» auf der Tagesordnung. Die Tatsache, dass es in Israel zwei offizielle Definitionen von Judentum gibt, stiftet Verwirrung. Doch eine Lösung dieser Frage muss zurzeit vor dringenderen existenziellen Problemen hintanstehen.