TRUMP-REGIERUNG 12. Jun 2025

Ziegel gegen die Demokratie

Wandelt Donald Trump die Vorzeige-Demokratie in eine autokratische Präsidalnation?

Ablenkung von geplatzten Plänen und Griff nach autoritärer Macht – die Trump-Regierung provoziert Proteste gegen Razzien auf Migranten und doppelt mit Militäreinsätzen nach.

Die Palette mit Backsteinen soll Randalierern Munition für Attacken auf Sicherheitskräfte in Los Angeles liefern. Angeblich hat George Soros die Ziegel bereitgestellt. Schliesslich soll der 94-jährige Philanthrop und Holocaust-Überlebende nach den «Black Lives Matter»-Protesten (BLM) von 2020 nun auch hinter den Demonstrationen gegen die rabiaten Razzien der Immigrationspolizei (ICE) auf «illegale Migranten» stecken. Diese Legende verbreiten rechte Influencer und Medien. Die Proteste begannen am vergangenen Freitag in Los Angeles (LA). Trump hat daraufhin die Nationalgarde von Kalifornien unter seinen Befehl gestellt und 700 Marines nach LA befohlen. Juristen sehen darin einen Verfassungsbruch. Denn obwohl Randalierer in LA Läden plünderten, ein halbes Dutzend selbstfahrende Waymo-Taxis abfackelten und Steine auf Polizisten warfen, kam all dies doch keineswegs einer «ausländischen Invasion oder einem Umsturz-Versuch» gleich. Und nur dies rechtfertigt unter amerikanischem Gesetz den Einsatz des grundsätzlich über der Politik stehenden Militärs gegen die eigene Bevölkerung.

Inzwischen erreichen die Proteste weitere Grossstädte der USA und nehmen bei Redaktionsschluss eher noch zu. Denn für Samstag rufen linke Basis-Organisationen unter dem Motto «No Kings!» landesweit zu Demos gegen Trump auf, der seinen 79. Geburtstag am 14. Juni mit einer einzigartigen Militär-Parade mit Panzern und Truppen in Washington begehen wird. Die soll angeblich die Gründung der US-Armee im Befreiungskrieg gegen die Briten vor 250 Jahren feiern. Doch nun wird die 140 Millionen Dollar teure Show zum Symbol für den brachialen Versuch des Präsidenten, die von 1775 an erkämpften Freiheiten und Rechte zu stutzen. Dabei hat die ohnehin als «hart» verschriene und militärisch gerüstete Polizei von LA die vereinzelten Gewaltausbrüche bereits unter Kontrolle bekommen.

Gezielte Ablenkung
Ziegel kamen dabei nicht zum Einsatz. Das auf Social Media millionenfach geteilte Bild der Backstein-Palette ist laut der «New York Times» mindestens fünf Jahre alt und stammt von einem Bau-Grosshandel in Malaysia. Soros spielt bei den Demos ebenfalls keine erkennbare Rolle. Für diese sind vielmehr Trump und sein stellvertretender Stabschef im Weissen Haus verantwortlich, Stephen Miller. Das berichten Stimmen quer durch das Medien-Spektrum von der «Times»-Kolumnistin Michelle Goldberg bis zum wirtschaftsnahen «Wall Street Journal».

Schon am Freitag wurde erkennbar, dass die Regierung die Proteste gezielt provoziert hat. Taktisch war das Weisse Haus genötigt, von der eskalierenden Krise mit Elon Musk über das «grosse, schöne Haushalts-Gesetz» Trumps (das er als «big beautiful bill» bezeichnet) abzulenken. Musk hatte die darin enthaltene Explosion der Staatsschulden mit persönlichen Attacken auf Trump kritisiert. Er wusste dabei zumindest in der Sache etliche Republikaner im Senat auf seiner Seite. Obendrein lehnen deutliche Mehrheiten des Wahlvolks die Steuersenkungen für Reiche und Unternehmen in jenem Gesetzesentwurf laut Umfragen ab. Nutzte das Weisse Haus den Eklat mit Elon zur diskreten Rückführung des unter falschen Voraussetzungen verhafteten und ausgeschaften Kilmar Abrego Garcia aus einem Haftlager in El Salvador, so liess der Disput den Präsidenten doch schwach aussehen. Immerhin hatte Musk Trumps Wahlsieg auf seine Wahlspenden von rund 300 Millionen Dollar zurückgeführt.

Obendrein ist Trump in fast fünf Monaten als Präsident eigentlich kaum etwas gelungen. Das Blutvergiessen in Gaza und der Ukraine dauert an, die Atom-Verhandlungen mit Iran stocken, das Hin-und-Her um Zölle hat ihm unter dem Akronym TACO, was für «Trump Always Chickens Out» («Trump macht immer einen Rückzug») steht, den Spitznamen eines ängstlichen Federviehs eingetragen. An den Börsen zeugen sinkende Dollarkurse und steigende Zinsen auf Staatsanleihen nicht allein von Nervosität, sondern signalisieren womöglich eine tiefer gehende Abkehr von Investoren unter dem Motto «sell America» («verkauft Amerika»). Unterm Strich hat der Präsident für seine Basis in der Arbeiterschicht keinerlei Erleichterungen bei drückenden Alltagsproblemen wie den Kosten für Gesundheit, Bildung und vor allem Wohnen gebracht.

Zeit also für den bewährten Griff in das Arsenal von Schocks, Skandalen und Ablenkungen. Zudem stellt die Entsendung von maskierten ICE-Agenten eine Heimkehr zum Kern seiner politischen Marke dar, der Hetze auf Migranten, Fremde, «Illegale». Anscheinend nehmen Trump und Miller nun sogar die im Wahlkampf versprochenen «Massendeportationen» auf. Diese sollten eigentlich «Kriminelle und Vorbestrafte ohne Aufenthaltsgenehmigung» treffen. Die Idee findet bei Umfragen theoretisch noch Mehrheiten. Doch Miller hat sich laut dem «Journal» nicht die Mühe gemacht, Listen von «kriminellen Illegalen» und deren mutmasslichen Aufenthaltsorten zu erstellen. ICE-Agenten gingen schlicht zu Parkplätzen von «Home Depot»-Baumärkten und griffen dort – typischerweise am frühen Morgen auf der Suche nach Tagesjobs präsente – Migranten auf. Kriminelle waren allem Anschein nach nicht dabei.

Dazu kam in LA eine Razzia in einem Quartier von Textilfirmen, gefolgt von Verhaftungen im Latino-Viertel Paramount am Samstag. So bleibt momentan unklar, ob das Weisse Haus wirklich 3000 «Illegale» am Tag – also Undokumentierte, die hart arbeiten, häufig Steuern zahlen, Familien gegründet und Verwandte mit Staatsbürgerschaft haben – fassen und ausschaffen will. Von derartigen Plänen berichten «Axios» und andere Medien. Doch dies wäre keinesfalls im Interesse der auf diese rund 14 Millionen Arbeitskräfte angewiesenen Wirtschaft. Dies gilt für Konzerne, vor allem aber Selbstständige und Kleinunternehmer und im Service- und Bau-Bereich, die wichtige Teile der MAGA-Basis stellen.

Machtausübung statt Problemlösung
Diese Widersprüche zeigen, wie weit sich Trump seit der Rückkehr ins Weisse Haus Ende Januar politisch in die Ecke gemalt hat. Doch er reagierte einmal mehr mit einer Flucht nach vorne und liess ICE am Wochenende mit harscher Gewalt und beliebig vorgehen. Es ging also nicht um Migrationspolitik, sondern eher um die Provokation von Widerstand. Schliesslich hat dieses Muster bei den BLM-Protesten 2020 gut funktioniert und den Konservativen verängstigte Bürger zugetrieben. Natürlich spielen Randalierer und Demonstranten mit mexikanischen Flaggen dabei dem Weissen Haus in die Hände. Aber Bernie Sanders lag am Dienstag sicherlich mit der Erklärung richtig, Trump gehe es nicht um Recht und Ordnung, sondern vielmehr «um die weitere Expansion seines endlosen Strebens nach Machterweiterung».

Schliesslich konzentriert Trump seit dem Januar systematisch Macht in seinen Händen und attackiert Institutionen, Regeln und das Recht und folgt damit weitgehend der detaillierten Vorlage von «Project 2025». Dabei geben die Republikaner ihrem Präsidenten freie Bahn zu ihrer eigenen Entmachtung in der Legislative. Am Dienstag erklärte ihr Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus Mike Johnson, ob der kalifornische Gouverneur Newsom verhaftet werden solle (eine «Idee» Trumps), wisse er nicht zu sagen: «Aber ich weiss, dass er geteert und gefedert gehört» – also mit siedendem Pech übergossen und gefedert werden sollte: eine grausame, in der Revolution vor 250 Jahren beliebte und nicht selten tödliche Tortur.

Die Zukunft Amerikas
Betrachtet man all dies im Zusammenhang mit der Gewalt von ICE, zeichnet sich hier eine dramatische Verrohung der amerikanischen Politik hin zu einer Willkürherrschaft ab. Dass Trump nun in LA künstlich einen «Notstand» provoziert hat, bewegt den «Forward» daher zu einem Vergleich mit dem Reichstagsbrand vom Februar 1933, mit dem Hitler die Etablierung seines totalitären Regimes gerechtfertigt hat. Dies wirkt jedoch als krasse Übertreibung. Das Weisse Haus scheint vielmehr – dem Wesen des Präsidenten entsprechend – spontaner vorzugehen. Dies erscheint als zunehmend aggressives Testen von Widerständen bei Justiz, Politik, Bevölkerung und Institutionen.

Damit wird ein volatiler Balanceakt dieser Regierung erkennbar. Die Rückführung von Kilmar Abrego Garcia zeugt von einem gewissen Respekt vor dem Verfassungsgericht. Doch dies und die Scheu vor negativen Börsen-Reaktionen geht einher mit aggressiver Machtausdehnung durch den Abbau von Behörden und unabhängiger Aufsichtsinstanzen. Doch während seine Familie mit Mega-Deals am Persischen Golf oder im Crypto-Geschäft auf die eigene Rechnung kommt und er die Barone des Silicon Valley das Fürchten – und Spenden – lehrt, stehen materielle Errungenschaften für die MAGA-Basis aus. Wird sich diese arbeitende Bevölkerung weiter mit Hetze gegen unbescholtene «Illegale» abspeisen lassen, mit der sie doch häufig die Existenz «von der Hand in den Mund» teilt?

Die Demokraten sind bei all dem eine Fussnote. Von Rechten als Ziegel-Lieferanten verteufelt, ist die Partei zersplittert und findet keine gemeinsame Stimme. So rufen diverse Basis-Organisationen – laut dem «Forward» mit einer starken, jüdischen Präsenz – zu den «No Kings!»-Demos, nicht aber die Partei. Ob die Demokraten in der momentanen Krise dennoch Chancen für eine politische Renaissance erkennen können, wird damit zu einer Schlüsselfrage für die Zukunft Amerikas.
 

Andreas Mink