international 13. Jun 2025

Die Muttersprache fürs Exil

Aaron Lansky, Gründer des Yiddish Book Center, tritt im Juni 2025 als Leiter zurück.

Aaron Lansky baute ein Zuhause für 1,5 Millionen jiddische Bücher – jetzt gibt er den Schlüssel weiter.

Steven Spielberg hatte bereits an das Yiddish Book Center gespendet, als er Aaron Lansky bat, ihn in Los Angeles zu besuchen. Der Filmemacher, selbst Förderer zahlreicher Bildungsprojekte, wollte dem Gründer des Zentrums persönlich erläutern, warum er dessen Arbeit unterstützt.

«Ich erzähle Geschichten», sagte Spielberg. «Die Vorstellung, dass da Unmengen jüdischer Geschichten sind, die noch erzählt werden müssen – das ist für jemanden wie mich unwiderstehlich.»

Diese Geschichten sind in rund 1,5 Millionen Bänden vereint und stehen im Zentrum eines Lebenswerks, das Lansky mit 24 Jahren begann. Heute, 45 Jahre später, tritt er als Präsident des Yiddish Book Center zurück. Er übergibt die Leitung an Susan Bronson, die bereits seit mehreren Jahren als Geschäftsführerin tätig ist. Lansky, 69, bleibt dem Zentrum als leitender Berater verbunden.

Das Bewahren einer Zivilisation
Das Yiddish Book Center wurde 1980 gegründet und begann als Rettungsaktion: Freiwillige sammelten jiddische Bücher, die sonst weggeworfen worden wären. Heute ist es ein weitverzweigtes Kulturzentrum mit einem digitalisierten Katalog von 12 000 Titeln, einem Übersetzungsprogramm, einer eigenen Publikationsreihe, Konferenzen, Podcasts, Sprachkursen und einem umfangreichen Archiv für mündlich überlieferte Geschichten. Der Campus in Amherst zieht jährlich Tausende Besucher an.

Für Lansky geht es dabei um mehr als um Bücher. «Wir haben versucht, nicht nur Texte zu bewahren», sagt er, «sondern eine ganze Zivilisation, ihre Stimmen und ihren kulturellen Kontext.»

Die jiddische Sprache, einst die Muttersprache von drei Vierteln der jüdischen Weltbevölkerung, geriet im 20. Jahrhundert zunehmend ins Abseits – durch Assimilation, die Schoah und die Etablierung des modernen Hebräisch in Israel. Doch die jiddische Literatur, vor allem zwischen 1860 und 1940, zählt zu den reichsten Ausdrucksformen jüdischer Modernität: vom sozialistischen Feuilleton bis zur spirituellen Prosa, vom Theaterstück bis zur Avantgarde-Poesie.

Lansky selbst kam über sein Studium am Hampshire College und an der McGill University zum Jiddischen. Er erinnert sich an «meterlange Regale voller Bücher», die er aus Wohnungen von Überlebenden und Emigranten rettete. Oft arbeiteten sie in Teams, wobei jemand immer bei der Familie blieb, ihnen zuhörte, ass und Erinnerungen aufzeichnete.

Bedeutung für die Gegenwart
Mit der Zeit verlagerte sich der Fokus: von der Sammlung zur Vermittlung. Das Zentrum wurde zum Ort für junge Menschen, die jiddische Literatur, linke jüdische Geschichte, Musik oder Philosophie neu entdecken. «Viele kommen mit der Frage: Was bedeutet es, als Jude in der modernen Welt zu leben?», sagt Lansky. «Das war die grosse Frage der jiddischen Literatur.»

Doch verläuft die Arbeit nicht ohne Spannungen: Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und dem darauffolgenden Krieg in Gaza gab Lansky eine Stellungnahme zur Unterstützung Israels ab. Das führte zu kontroversen Diskussionen im Team. «Wir überwachen keine politischen Haltungen», sagte Lansky intern. «Aber wir geben Israel nicht auf.»

Lansky wird nun an einem Buch über die Rolle des Jiddischen im Spannungsfeld zwischen amerikanischer und israelischer jüdischer Kultur arbeiten. Dass Jiddisch ausserhalb ultraorthodoxer Kreise wieder Alltagssprache wird, hält er für unwahrscheinlich. Doch er sieht die Literatur als lebendige Quelle: «Jiddisch ist nicht entweder religiös oder säkular. Es ist beides – und darin liegt die Kraft.»

Sein Resümee: «Wenn wir unsere Geschichte nicht selbst erzählen, erzählen andere sie für uns. Und das ist gefährlich.»
 

Andrew Silow-Carroll