AUSSTELLUNG 12. Dez 2025

Es drängt das Morgenland

Diese «Gipsbüste der Nofretete» in der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin wurde von dem Visagisten Loni Baur, Make-up-Artist für Akris, Balenciaga und Chloé, geschminkt.

Das Jüdische Museum Hohenems befasst sich in einer breit angelegten Ausstellung mit dem lange währenden Wissensdrang und den unerfüllten Sehnsüchten einer einst jüdisch beseelten Orientforschung.

«Jüdische Museen repräsentieren und problematisieren das ‹Andere› im ‹Eigenen› und sie spiegeln das ‹Eigene› im ‹Anderen›, ohne sich darauf festlegen zu lassen, um wessen ‹Eigenes› und ‹Anderes› es geht», formulierte Hanno Loewy, Direktor des Jüdischen Museums Hohenems (JMH) kürzlich in tachles. Seit lang erprobtes Fazit hierzu: «Wir sollten unsere Besucher auf produktive Weise irritieren, sie mit Unbekanntem überraschen, aber nicht belehren.» Dieser Leitgedanke, den Loewy dem Haus, das er seit über 20 Jahren führt, zu Grunde legt, hat dem JMH schon mehrfach bemerkenswert diskursive Ausstellungen zu den «Mehrdeutigkeiten dieser Welt», beschert. Mit der kürzlich eröffneten Ausstellung «Die Morgenländer – Jüdische Forscher und Abenteurer auf der Suche nach dem Eigenen im Fremden» widmet sich das räumlich weiterhin sehr eingeengte Museum mit Raffinesse und Spürsinn der etwa 100 Jahre lang florierenden Orient-Faszination vieler wegweisender, aber auch einiger zu Unrecht in Vergessenheit geratener Forschungsreisender jüdischer Herkunft.

Vielversprechende Annäherung
Was in Unkenntnis der Thematik und von Ferne aus betrachtet als marginales Sujet für eine Ausstellung in einem Jüdischen Museum erscheint, enthüllt sich schon beim Betreten der Hohenemser Museumsvilla als vielversprechende Annäherung an die Forschungs- und Jagdgründe der deutsch-jüdisch geprägten Orientalistik und ihrer Protagonisten. Die Wissenschaft von der Erforschung des Orients war in ihren Anfängen um 1800 in einer Mischung aus theologischer Neugier und romantischem Exotismus entstanden. Aufmerksamkeit erhielten die frühen Expeditionen lediglich als Informationsquellen für die kolonialen Ambitionen der europäischen Grossmächte. Der etwa zeitgleich in Europa grassierende «Orientalismus» hingegen, dessen Attribute in der damaligen Synagogenarchitektur Mitteleuropas beliebt waren, war populär, doch interpretierte er lediglich Bilder, die sich die Europäer vom Orient machten. Doch das Fremde der bisweilen esoterisch und auch erotisch aufgeheizten Imitationen und Interpretationen weckte auch Neugierde und warf insbesondere unter jüdischen Gelehrten Fragen zur eigenen Herkunft und den orientalischen Verwandtschaftsgraden auf. Schon 1833 publizierte Abraham Geiger (1810–1874), der als einer der Väter des modernen Reformjudentums gilt, sein bahnbrechendes Werk «Was hat Mohammed aus dem Judenthume aufgenommen?» Mit diesem Text gilt Geiger bis heute als Begründer der Islamwissenschaft. Ein weiterer Wegbereiter der modernen Islamwissenschft war Ignaz Goldziher (1850–1921). Er bereiste den Orient, besuchte Moscheen, nahm am religiösen Leben teil und studierte arabische Handschriften an der Quelle. «Jede neu entdeckte Handschrift war ihm ein Schatz, der die Verbindungen zwischen Judentum und Islam sichtbar machte» schreibt die Kuratorin Felicitas Heimann-Jelinek in ihrem Katalogbeitrag «Annäherung an ein komplexes Thema» und führt weiter aus: «Einer der Gründe für die Wahl des Ausstellungsthemas liegt in der These, dass Jüdinnen und Juden ihre hybride Identität nicht schon immer in ihrem Alltag, sondern auch in ihrer Forschung lebten. Sie machten sich als ‹Andere› auf den Weg in den Orient, um dort das Wissen über Rituale, Architektur oder Alltagskultur im Sinn einer Ressource ihrer Selbstverortung zu erforschen.» Die Ausstellung präsentiert an die 20 Biografien jüdischer Orientalistinnen und Orientalisten. Diese sind mit ihren jeweiligen Wirkungsfeldern dargestellt und werden vielseitig illustriert und dokumentiert.

Waren die Gelehrten der ersten Generation vornehmlich religionswissenschaftlich interessiert, rücken zu Beginn des 20. Jahrhunderts Mäzene, Akademiker, Expeditionsleiter, Abenteurer und reisfreudige Feldforscher nach. So etwa der aus Böhmen stammende Eduard Glaser (1855–1908), dessen gefahrvolle Reisen einen so bedeutenden Ertrag hatten, dass Schriften hierzu noch heute in der Reihe Sammlung Eduard Glaser der Österreichischen Akademie der Wissenschaften veröffentlicht werden. Den Berliner Hermann Burchardt (1857–1909) kostete die orientalische Reiseleidenschaft das Leben. Sein fotografischer Nachlass mit über 2000 Aufnahmen aus dem Nahen Osten, Nordafrika und dem Jemen ist bis heute eine der wichtigsten kulturhistorischen Quellen aus diesen Regionen. Der schillerndste Protagonist in der Reihe der jüdischen Orientalisten ist Lev Nussimbaum (1905–1942), der mit dem Namen Esad Bey zum Islam konvertierte und als «orientalischer» Autor Reportagen, Biografien, Bestseller und auch ein Standardwerk über den Propheten hinterlassen hat. Breiteren Raum nimmt Max von Oppenheim (1860–1946), der Erforscher des heute in Nordsyrien gelegenen aramäischen Fürstensitzes von Tell Halaf, ein.

Ambition trotz Konversion
Oppenheim, Sprössling einer Kölner Bankiersdynastie, konnte trotz der Konversion zum Christentum seine Ambition nach einer diplomatischen Laufbahn weder in der Kaiserzeit noch während der Weimarer Republik realisieren. Als Privatgelehrter war er aufgrund seines Vermögens hingegen in der Lage, die Ausgrabung, den Transport und auch die Berliner Ausstellung (1930) der monumentalen Basaltfiguren von Tell Halaf zu finanzieren. Die im Krieg durch Phosphorbomben zerstörten Basaltfiguren konnten restauriert werden und wurden 2011 in Berlin erstmals wieder gezeigt. Oppenheims Biografie wird im Zusammenhang mit Grabungsexponaten, fotografischen Dokumenten und Schriften zu einer zentralen Figur im Reigen der Hohenemser «Morgenländer». Einem weiteren jüdischen Mäzen und Sammler antiker Kunst, James Simon (1851–1932), verdankt die Welt die Entdeckung der Nofretete-Büste in der durch ihn finanzierten Amarna-Grabung. Simon beschenkte und förderte die Berliner Museen nach Kräften. Wie viele andere jüdische Wohltäter und Mäzene wurde auch er schon in den zwanziger Jahren von nationalgesinnten Kreisen antisemitisch diskriminiert und politisch bekämpft.

Die deutsche Orientwissenschaft, die ohne den – durchaus auch unterschiedlich motivierten – jüdischen Forscher- und Erkenntnisdrang zu keiner Zeit eine herausragende Bedeutung erlangt hätte, mochte sich nach 1945 nicht an die Blütezeit ihrer jüdischen Wegbereiter erinnern. Der Zerschlagung der jüdisch geprägten Orientforschung durch das nationalsozialistische Regime folgte viele Jahrzehnte keine Rehabilitierung. Und auch die wenigen jüdischen Frauen, die sich diesem Forschungsfeld verschrieben hatten, waren in Vergessenheit geraten. Ihre Leistungen sind nach 1933 über Generationen hinweg von männlichen Kollegen unterdrückt worden. Es ist ein weiteres Verdienst dieser Ausstellung, die Arbeiten der Orientalistinnen Hedwig Jenny Fechenheimer (1871–1942) und Hedwig Klein (1911–1942), die beide ein Opfer der Schoah wurden, in bleibende Erinnerung zu rufen.

Arabisch und Zionismus
Die Ausstellung, die auf knappem Raum opulente Lichtinstallationen und eine geschickte Präsentation signifikativer Indizien zum Thema bietet, will trotz dekorativen, dem Orient nachempfundenen Arabesken keine Ansammlung historisierender Exponate sein. «Morgenländer» spannt einen Bogen, der von der jüdischen Orientalistik bis in die Gegenwart reicht. Denn ohne dies in den Vordergrund zu rücken, ist stets präsent, dass sich die jüdisch geprägte Orienterforschung zeitgleich mit der Konkretion von Herzls Judenstaat profiliert. «Arabisch zu lernen ist Teil des Zionismus, Teil der Rückkehr zur hebräischen Sprache und zum semitischen Orient» und «Wir wünschen uns, dass unsere Kinder, wenn sie in die Welt hinausgehen, sich als Kinder des Orients fühlen können» forderte einer der bedeutendsten Kulturhistoriker des jüdisch-islamischen Mittelmeerraums (Fritz) Schlomo Goitein (1900–1985), noch bevor der Staat Israel Realität wurde.

Selbst wenn die Kuratorinnen Felicitas Heimann-Jelinek und Dinah Ehrenfreund-Michler die Zerschlagung der deutsch-jüdisch geprägten Orientalistik ab 1933 zum Endpunkt ihrer Betrachtungen machen, löst die Ausstellung im Gegenwärtigen produktive Irritationen aus. Könnte es denn sein, wird in den Raum gestellt, dass der Orient für die jüdischen Orientalistinnen und Orientalisten nicht nur eine Suche nach den eigenen Wurzeln gewesen ist, sondern auch eine Suche nach der Bestätigung, dass die Geschichte der Jüdinnen und Juden Teil eines Kontinuums ist? Könnte es denn sein, dass der Orient nicht eher der Ursprungsraum des Judentums und des Islam als des Christentums ist? Und ist nicht den jüdischen Orientalistinnen und Orientalisten der Orient – anders als den nicht jüdischen – eine positive Projektionsfläche? Mittlerweile ist dieser so ambivalente und auch so umkämpfte Orient längst keine positiv besetzte Projektionsfläche mehr, weder für Juden noch für Nichtjuden. Dazu im Katalog der Ausstellung: «Politische Konflikte, gesellschaftliche Gegensätze, religiöse Fanatismen, koloniale und postkoloniale Diskurse sowie neue Formen des Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus trüben heute unser aller Blick auf den Orient.»

Am 6. Dezember 1912 wurde die Büste der Nofretete entdeckt. An diesem Tag notierte der jüdische Grabungsleiter Ludwig Borchardt in sein Tagebuch: «Beschreiben nützt nichts, ansehen.» Solches gilt auch für die «Morgenländer»-Ausstellung in Hohenems. l

www.jm-hohenems.at

Gabriel Heim