Larry Harlow war ein begnadeter Musiker und Vorreiter der lateinamerikanischen Musik – wie der Sohn jüdischer Einwanderer die Musik der sechziger und siebziger Jahre prägte und wieder in Erinnerung gerufen wird.
Schon von Weitem war die laute Musik hörbar. Eine Salsa-Big-Band spielte an der Ecke West 86th Street und Columbus Avenue auf Manhattans Upper West Side «Musica del maestro» («Musik des Maestro»). Der Maestro, das war Larry Harlow, der New Yorker Salsa-Pionier, der nicht nur ein begnadeter Musiker war, sondern auch für das legendäre Plattenlabel Fania Records über 260 Alben produzierte.
In die Musik hineingeboren
Harlow wurde am 20. März 1939 in Brownsville, Brooklyn, als Lawrence Ira Kahn geboren. Brownsville war damals, genauso wie Manhattans Lower East Side, das Einwandererviertel, in dem hauptsächlich New Yorks jüdische Bevölkerung lebte. Harlow wurde in eine Musikerfamilie hineingeboren. Seine Mutter war Opernsängerin, die unter dem Künstlernamen Rose Sherman auftrat, sein Vater Nathan, ein Jazzmusiker und Bandleader, war als Buddy Harlowe im Latin Quarter in New York bekannt. Larrys eigener Künstlername ist eine Hommage an seinen Vater.
Bereits als Fünfjähriger begann Harlow mit dem Klavierspielen, brillierte später auch auf verschiedenen anderen Instrumenten und wurde an der damals renommierten High School of Music and Arts in Harlem aufgenommen, wo er seine Faszination für afrokaribische Musik entdeckte. Nach seinem Highschool-Abschluss 1957 flog Harlow nach Kuba, um die dortige Musikszene zu studieren. Er reiste mit dem Bus durchs Land, begleitete Musiker, lernte Spanisch, nahm an Santería-Zeremonien teil und tauchte in die kubanische Kultur ein. In der beliebten Imbissbude Fania in Havanna traf er einen weiteren New Yorker, der seine Leidenschaft für lateinamerikanische Musik teilte: den ebenfalls aus Brooklyn stammenden Jerry Masucci, Sohn italienischer Einwanderer, der Jahre später Mitbegründer des einflussreichen Labels Fania Records werden sollte.
Der «grossartige Jude»
Die kubanische Revolution beendete Harlows Reise vorzeitig. Zurück in New York organisierte seine Mutter Auftritte für ihn in den beliebten Ferienhotels der Catskills-Region, die vor allem bei jüdischen Gästen sehr beliebt waren. Vor der Revolution war Kuba ein gefragtes Urlaubsziel wohlhabender Amerikaner gewesen, die Musikrichtungen wie Cha-Cha-Cha, Mambo und Rumba nach Nordamerika brachten. Nicht jeder konnte sich eine Reise auf die Insel leisten – aber die Musik brachte ihnen das karibische Lebensgefühl näher. Kubanische Musik wurde zu einem festen Bestandteil vieler Hotels, die Tanzlehrer und Mambo-Bands beschäftigten.
Nachdem die USA ein Handels- und Reiseembargo gegen Kuba verhängt hatten, trennten sich viele grosse Musiklabels von ihren lateinamerikanischen Künstlern. Masucci, damals Scheidungsanwalt, nutzte die entstandene Lücke und gründete 1964 mit dem in der Dominikanischen Republik geborenen Musiker Johnny Pacheco das Label Fania Records. Larry Harlow war der erste Künstler, den sie unter Vertrag nahmen.
Die Musik, die in den sechziger und siebziger Jahren in New York entstand, war eine Mischung aus afrokaribischen Rhythmen und nordamerikanischem Jazz, die Elemente aus dem kubanischen Son, Mambo, Cha-Cha-Cha und puertorikanischer Bomba mit Bongos, Congas und anderen Instrumenten zu etwas vollkommen Neuem, dem Salsa, entwickelte.
Harlow wurde zu einem der produktivsten und prägendsten Künstler dieser neuen Musikrichtung. Er war zum Beispiel der erste, der die bis heute in den meisten Salsa-Bands übliche Bläser-Frontlinie mit zwei Trompeten und zwei Posaunen entwickelte. Als 1970 der blinde afrokubanische Musiker Arsenio Rodríguez starb, nahm Harlow ein Tribute-Album zu seinen Ehren auf. Rodríguez trug den Spitznamen «El ciego maravilloso» («der grossartige Blinde») und bald wurde Harlow, der aus seiner jüdischen Identität nie ein Geheimnis machte, «El judío maravilloso» («der grossartige Jude»). Auf Konzerten riefen Moderatoren: «¡Y ahora – el judío maravilloso!» («Und nun, der grossartige Jude!»), weitere Erklärungen waren überflüssig, jeder wusste, wer gemeint war. Harlow nahm diesen Ehrentitel mit Stolz an.
Sein vielleicht wichtigstes Vermächtnis neben seiner Musik war seine Initiative, «Latin Music», also lateinamerikanische Musik, bei den Grammy Awards als Kategorie einzuführen. Drei Jahrzehnte nach seiner erfolgreichen Kampagne wurde ihm 2008 der Trustees Lifetime Achievement Award für sein Lebenswerk verliehen.
Er starb, wie er lebte
Larry Harlow starb 2021 im Alter von 82 Jahren. Schon kurz darauf sammelten Freunde des Musikers Unterschriften, um den Abschnitt der West 86th Street, in dem er fast ein halbes Jahrhundert gelebt hatte, zu seinen Ehren umzubenennen. Vier Jahre später war es nun so weit, und einige der Musiker waren eigens aus Puerto Rico und Florida angereist, um den legendären Salsa-Meister zu ehren.
Die Big Band mit bekannten Musikern wie Bobby Sanabria spielte fast eine Stunde lang Harlows Songs und zog auch viele Passanten an, die nichts von Harlow oder dem Grund des Konzertes wussten. «Ich bin voller Dankbarkeit und Emotionen, dass wir heute eine bleibende Ehrung für meinen geliebten Ehemann enthüllen», sagte seine Witwe Maria Harlow-Kahn. «Nun wird sein Name weiterleben, genau hier, wo er gelebt, geträumt und geschaffen hat – in seiner geliebten Upper West Side.»
Dass seine Ehrung ausgerechnet im Jewish American Heritage Month stattfand, hätte Larry Harlow bestimmt gefallen, denn dieser Monat ehrt Juden, die zur amerikanischen Kultur beigetragen haben, und genau das tat er und brachte mit seiner Musik, wie am Tag der Umbenennung, Amerikaner verschiedenster Kulturen zusammen.