Ein Gespräch mit den Machern des Dreiteilers über die bisher unbekannte Allianz des nationalsozialistischen Kriegsverbrechers Klaus Barbie mit dem Kokain-Baron Roberto Suárez in Bolivien um 1980.
In diesem Frühjahr hatte der Dreiteiler «Das Nazi-Kartell» bei Canneseries Weltpremiere. Nach exzellenten Rezensionen findet das auf tiefgehenden Recherchen des Journalisten Christian Bergmann beruhende Dokudrama weltweit Beachtung. Bergmann, Regisseur Justin Webster und Produzent Alexander Lahl von Mobydok haben mit tachles über die Serie gesprochen.
Die Filmemacher fanden Zugang zu persönlichen Bild- und Videoarchiven von Suárez und Levine. Nicht zuletzt enthüllt «Das Nazi-Kartell» anhand bislang unveröffentlichten Ton- und Bildmaterials von Klaus Barbie das sorglose Leben des «Schlächters von Lyon» in Bolivien. Deutlich wird auch, dass der nach seiner Auslieferung an Frankreich 1987 zu lebenslanger Haft verurteilte Barbie in seiner neuen Heimat Bolivien unbeirrt an seinem Nazi-Weltbild festgehalten hatte.
tachles: Wo setzten Sie bei Ihrer Spurensuche an? Kannten Sie das von dem deutschen Journalisten Gerd Heidemann in La Paz aufgezeichnete Videointerview mit Klaus Barbie von 1979? Es dauerte 45 Jahre, bis es an die Öffentlichkeit kam – ein 14-stündiges Interview über sechs Tage.
Christian Bergmann: Ja, das Interview war uns bekannt. Gerd Heidemann hatte das Material an die Hoover-Institution an der kalifornischen Stanford University verkauft, kurz bevor wir mit ihm Kontakt aufnahmen. Dank der Offenheit des Hoover-Instituts konnten wir Einblick in dieses bislang unveröffentlichte Archiv erhalten. Für uns war dieses Interview ein zentraler Bestandteil der Recherche, denn es zeigt Barbie in seiner bolivianischen Realität, ungebrochen in seiner Ideologie.
Einer Ihrer Interviewpartner ist der ehemalige Agent der amerikanischen «Drug Enforcement Administration» (DEA) Mike Levine, der damals verdeckt ermittelt hat. Wie gelang es Ihnen, ihn aufzuspüren, und gab es Fragen, die er vor laufender Kamera nicht beantworten wollte?
Christian Bergmann: Mike Levine war von Anfang an gesetzt. Wir hatten ihn früh kontaktiert und wussten, dass er ein grosser Erzähler ist. Er war sehr offen, auch zu seiner Rolle und seinen Fehlern. Natürlich gibt es Details, etwa zu internen Operationen der DEA, die er nicht offenlegen konnte.
Alexander Lahl: Im Gegenteil, Michael Levine war eigentlich sehr interessiert, seine Geschichte zu erzählen, was auch damit zu tun hat, dass er bezüglich der damaligen Geschehnisse teilweise immer noch recht wütend ist, weil er sich ein Stück weit betrogen fühlte. Hier hatten wir eher den Eindruck, dass wir für die wichtigen Aussagen, die Levine über die Verwicklung der CIA machte, Belege brauchen. Die waren aber schwer zu bekommen, weil entscheidende CIA-Akten nicht offenliegen. Doch wir konnten Levines Aussagen durch Einlassungen anderer Ex-Geheimdienstler bestätigen.
Worin lag Ihre grösste Herausforderung?
Christian Bergmann: In der Komplexität der Geschichte. Es handelt sich nicht um ein lineares Geschehen, sondern um ein Netzwerk aus Politik, Geheimdiensten, Kriegsverbrechern und Drogenhandel. Das alles visuell und dramaturgisch greifbar zu machen – ohne Sprechertext – war ein Kraftakt.
Alexander Lahl: Es gab viele Herausforderungen. Eine Geschichte, die 45 Jahre her ist, als Real-Time-Story zu erzählen, ist nicht leicht, weil viele Zeitzeugen sehr alt oder schon gestorben sind. Ausserdem gleicht die Geschichte einem Puzzle, das keiner der Interviewpartner ganz kennt. Wir mussten also verschiedene Stränge verfolgen und gewissermassen über den Schnitt den roten Faden legen.
Gab es Interviewpartner, die Angst hatten, vor die Kamera zu treten?
Christian Bergmann: Ja, insbesondere in Bolivien. Einige haben sich uns nur unter der Bedingung geöffnet, anonym zu bleiben, andere lehnten ganz ab – etwa aus Angst vor politischer Verfolgung oder familiären Repressalien. Die Vergangenheit ist dort noch sehr präsent.
Die Serie stellt die CIA und die DEA als Konkurrenten dar. Inwiefern?
Christian Bergmann: Die DEA wollte Drogenhändler wie Suárez zur Strecke bringen. Die CIA hingegen verfolgte geopolitische Interessen. Für sie war Suárez als Antikommunist eher ein nützlicher Verbündeter – so auch Klaus Barbie. Das führte zu einem Zielkonflikt, der Levines Arbeit massiv behinderte.
Sprechen wir über Barbie. Er hatte beste Kontakte zu westlichen Geheimdiensten. Wie war das möglich – war nicht das oberste Ziel die Bestrafung von nationalsozialistischen Kriegsverbrechern?
Christian Bergmann: Eigentlich ja, aber in der Praxis sah das anders aus. Barbie wurde nach dem Krieg vom amerikanischen Geheimdienst rekrutiert. Sein Wissen über Verhörmethoden und seine antikommunistische Haltung machten ihn für die USA interessant – die Gerechtigkeit blieb dabei auf der Strecke.
Welche Rolle spielten die Sowjetunion und der Kalte Krieg?
Christian Bergmann: Der Kalte Krieg war der Katalysator für diese moralische Verkehrung. Jeder, der gegen den Kommunismus kämpfte, wurde zumindest temporär akzeptiert. Barbie war dabei nur ein Beispiel unter vielen. Auch Argentinien und Chile zeigen ähnliche Muster. Barbies Kontakte zu Militärs und Geheimdiensten in Washington und Bolivien haben auch seine Auslieferung über Jahre hinweg verzögert oder blockiert, nachdem ihn Beate und Serge Klarsfeld bereits 1971 enttarnt hatten.
Wie konnte Barbie alias Altmann einen solchen Einfluss in Bolivien ausüben?
Christian Bergmann: Barbie war gut vernetzt und beratend für Geheimdienst und Militär tätig. Er schuf sogar eine eigene paramilitärische Truppe – die Novios de la muerte. Sein Ziel war ein bolivianischer Militärstaat, der ihn vor Auslieferung schützen würde. Dass dieser Staat durch den Kokainhandel finanziert wurde, war für ihn kein Problem – im Gegenteil.
Was haben Sie sonst noch im Rahmen Ihrer Recherchen über Nazi-Verstrickungen herausgefunden, Aspekte, die womöglich in der Serie keinen Platz mehr fanden?
Christian Bergmann: Vieles. Zum Beispiel die Rolle von Argentinien beim Putsch in Bolivien oder Aussagen eines argentinischen Militärs, die bis 2037 unter Verschluss bleiben. Auch die Verbindung von Barbie zu anderen Ex-Nazis in Paraguay und Chile fand keinen Platz.
Wie lief die Finanzierung der Dokuserie?
Alexander Lahl: Wir hatten mit Sky den richtigen Auftraggeber für die Serie, der einen Grossteil des Budgets finanzierte. Wir waren dann mit verschiedenen weiteren Sendern im Gespräch, weil noch eine Finanzierungslücke bestand. Dank des ZDF konnten wir diese letztlich schliessen.
Justin Webster führt Regie. Wie ergab sich der Kontakt?
Alexander Lahl: Der Kontakt ergab sich über unseren Rechercheur und Co-Autor David Lopez, der mit Justin bereits zusammengearbeitet hatte. Justin brachte viel Erfahrung in der Umsetzung dokumentarischer Serien mit. Es war eine wirklich gute, kreative und konstruktive Zusammenarbeit.
Wie aktuell bleiben die Naziverstrickungen mit den Drogenkartellen aus heutiger Sicht?
Christian Bergmann: Es geht weniger um direkte Verbindungen heute, sondern um das strukturelle Verständnis: wie staatliche Interessen, Ideologie und Kriminalität koexistieren und voneinander profitieren. Das ist auch heute noch ein hoch relevantes Thema – siehe autoritäre Regime weltweit.
Alexander Lahl: Die Geschichte öffnet auch den Blick für eine Globalgeschichte der (südamerikanischen) Kartelle, die von uns und unserer Geschichte nicht gänzlich losgelöst ist – das war eine sehr interessante Erkenntnis.
Wo kann man die Serie in Europa sehen?
Alexander Lahl: Die Serie ist bei Sky sowie über den Streamingdienst WOW abrufbar. 2026 wird sie auch im ZDF und damit im Free-TV zu sehen sein.